Zurück in die Zukunft

AUSSTELLUNG Wie die aktuellen archäologischen Grabungen in Mitte in die kommende Stadtentwicklung Berlins integriert werden könnten, thematisiert eine Schau der Bauverwaltung und Denkmalpflege

Berlin sei dazu verdammt, „immerfort zu werden und niemals zu sein“

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der wohl sensationellste Fund der letzten Zeit gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten, die Berliner Archäologen gemacht haben. Bei Grabungen vor dem Roten Rathaus wurden im Herbst 2010 elf Kunstwerke geborgen, die einstmals zur NS-Schau „Entartete Kunst“ von 1937 gehörten. Die verschollen geglaubten Skulpturen aus Keramik und Bronze – darunter so berühmte wie der „Kopf“ (1925) von Otto Freundlich oder die „Schwangere“ (1918) der Bildhauerin Emy Roeder – waren zufällig bei Erdarbeiten unter dem Rathausplatz entdeckt worden. Archäologen sicherten die Kunstwerke, danach wanderten sie ins Neue Museum.

In der Regel sind es weder Kunstwerke noch Spuren der Moderne, sondern historischen Rudimente aus dem frühen Mittelalter, die Archäologen in Berlin ans Tageslicht befördern. Jüngste Ausgrabungen haben diese zunehmend ins fachliche und mediale Interesse gerückt, weil die Bedeutung der Funde und die Ausgrabungsorte selbst Neues über die jüngere Geschichte der Berliner Mitte, über deren Ursprünge und die Veränderungen der Stadt preisgaben.

Die gerade entdeckte Tuchhalle des Alten Rathauses oder der Grundriss der Lateinschule neben der Petrikirche haben nicht nur das Bewusstsein geschärft, diese Zeugnisse für das kulturelle Gedächtnis der Stadt bewahren zu wollen. Vielmehr sind die profanen und sakralen Fundamente, Gräber oder Mauerreste, die im Nikolaiviertel, auf dem Schlossplatz, vor dem Roten Rathaus oder Jüdenhof gefunden wurden, zu wichtigen Erbstücken einer „lebendigen Stadthistorie“ avanciert, die lange ausgeblendet schien.

Damit dies nicht erneut ignoriert wird und auch im Kontext der Stadtentwicklung verankert bleibt, haben die Bauverwaltung und Denkmalpflege die Ausstellung „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit – Archäologie und Stadtplanung in Berlin“ initiiert. Scherbenfans, Mosaikliebhabern oder Freunden der Mörtelprobe sei von der Ausstellung abgeraten. Die Archäologieschau zeigt nur ganz wenig Originales und Antikes: In einer langen Vitrine werden Fliesenfragmente aus dem Stadtschloss, Sarggriffe und mittelalterliche Keramik präsentiert. Im Wesentlichen geht es auf den 20 Tafeln samt Texten und Filmdokumenten um die aktuellen Grabungsstätten im Berliner Zentrum, um Ideen und Projekte für deren Einbindung in die zukünftige Stadtplanung und Architektur.

Das Konzept ist im schweizerischen Zürich bereits Realität, wo archäologische ober- und unterirdische Baudenkmale in die moderne bauliche Entwicklung der Stadt integriert wurden. Zudem existiert dort ein sogenannter „archäologische Rundgang“ mit Führungen, Karten, Infotafeln, Stationen.

Berlin respektierte die Verbindung von Ursprung und Neuem bisher nie – man denke an Karls Schefflers Satz, Berlin sei dazu verdammt, „immerfort zu werden und niemals zu sein“. Dass jetzt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, die früher in Zürich tätig war, das Thema an der Spree auf die Agenda setzt, ist darum kein Zufall. Aber mehr noch: Die Qualität und schiere Masse dessen, was unter dem Pflaster liegt, rücken die archäologischen Funde in die Konkurrenz zur Stadtentwicklung. Für die durch Abrisse, Kriegsschäden und die DDR-Stadtzerstörungen entstandenen Brachen im historischen Zentrum, unter denen Altberlin ruht und die bebaut werden sollen, ist ein duales Konzept nötig. Lüscher: „Die seit dem Mauerfall ergrabenen historischen Strukturen lassen erkennen, dass die historische Mitte nahezu flächig im Untergrund erhalten geblieben ist. Für die Stadtplanung ergibt sich aus einer Einbindung der Bodenfunde in Neuplanungen die Chance, historische Spuren der Stadtgeschichte zu präsentieren.“

Dass dies nicht mittels aufgerissener Löcher neben Neubauten, sondern virtuell, parkartig, museal oder durch ein archäologisches Informationssystem einmal erlebbar sein könnte, ist ein Ergebnis der Schau. Ein anderes, dass archäologische Grabungen lange vor dem Beginn von Bauprojekten stattfinden sollten.

Warum die Ausstellung darüber hinaus nicht bereits existierende Beispiele von Ausgrabung plus Neuplanung zur Debatte stellt, ist unverständlich. Gibt es diese doch zur Genüge. Ein Schwergewicht in der Berliner Stadtentwicklung etwa ist das Gelände der Topographie des Terrors. Der alte Kellergraben im Kontext mit der neuen Halle sorgt bis dato für Diskussionsstoff. Vielleicht wollte man nicht noch mehr davon.

■ Bis 29. 4. 2011 tägl. 10 bis 18 Uhr, Am Köllnischen Park 3, neben dem Märkischen Museum