Türkischer Honig

Islamistische Politiker in der Türkei haben ein neues Gräuel ausgemacht: männliche Prostituierte

Die Zahl der männlichen Sextouristen überwiegt die der weiblichen bei weitem. Dennoch ist der weiblichen Variante stets eine erhöhte Aufmerksamkeit gewiss, nun auch die islamistischer türkischer Politiker. Der Lokalpolitiker Hasan Ugur aus Alanya, Mitglied der „Glückseligkeitspartei“ (SP), beklagt nach einem Bericht der Hürriyet, dass sich ausländische Frauen in Alanya gegen Geld männliche Liebhaber hielten. Die Polizei gehe jedoch nur gegen illegale weibliche Prostituierte vor.

In der Tat geht die türkische Polizei sporadisch gegen die (zunehmend von Russinnen bestrittene) weibliche Straßenprostitution vor, legal sind nur die staatlich konzessionierten Bordelle. Und in der Tat hat sich in den türkischen Hochburgen des Massentourismus am Mittelmeer mit den Jahren die männliche Prostitution eingebürgert. Es handelt sich meist um junge Männer aus den ländlichen Regionen der Türkei, die an die Küste kommen, um ihr Glück zu suchen, das ohne Geld meist in unerreichbarer Ferne liegt. Ihre Kundschaft besteht aus europäischen Touristinnen, die ihren Lovern als Zeichen ihrer „Liebe“ Kleidung, Parfüm oder sonstige Aufmerksamkeiten zukommen lassen – etwa Geld für die angeblich erkrankte Mutter. Der pekuniäre Aspekt wird entsprechend den weiblichen Bedürfnissen und Selbstbildern mit dem Deckmäntelchen romantischer Zugeneigtheit verhüllt, ob nun an den Stränden Jamaikas oder in Alanya.

Und für die Männer ist mit ihrer Tätigkeit kein Prestigeverlust verbunden, sie gelten im Gegenteil als „richtige Kerle“, die ihr bestes Stück vermieten. Es ist denn auch nicht die womöglich durch westliche Frauen bedrohte hegemoniale Männlichkeit, die Politiker wie Ugur auf die Palme treibt, sondern die Vorstellung, dass Frauen erstens über ein sexuelles Begehren verfügen und zweitens sogar so weit gehen, für dessen Umsetzung zu bezahlen. Sie zahlen für Sex, der nicht der Fortpflanzung, sondern dem Vergnügen dient. Ein Gräuel, verkörpert durch die „ausländische“ Frau, die die Ordnung der Geschlechter bedroht. Politiker wie Ugur verlieren so leicht die für sie schlimmste Bedrohung aus dem Blick: Die Tabuisierung der Sexualität in der Türkei ist brüchig geworden, vor allem in den Großstädten. Die meisten türkischen Frauen leben ihre Sexualität längst selbstbewusst – auch wenn sie nicht auf die Idee kämen, sich von einem anatolischen Strandstecher Märchen aus Tausendundeiner Nacht erzählen zu lassen. MARTIN REICHERT