„Frauen sind keine Risiko-Körper“

Regelmäßige Checks bei der Gynäkologin, Risikoschwangerschaften und Wechseljahres-Beschwerden: Frauen wird von klein auf suggeriert, dass ihr Körper problematisch und potenziell krank ist, sagt die Frauengesundheits-Expertin Ulrike Hauffe

ULRIKE HAUFFE, 55, leitet seit 1994 die Bremer Zentrale für Gleichberechtigung. Sie arbeitete als Psychologin und Geburtsvorbereiterin.

Interview: Eiken Bruhn

taz: Frau Hauffe, Sie beschäftigen sich seit langem mit der Medikalisierung von Frauen. Gleich vorweg: Sind Männer nicht genauso betroffen? Denen rückt die Medizin doch auch auf die Pelle.

Ulrike Hauffe, Landesfrauenbeauftragte: Nein, der männliche Körper wird nicht wie der weibliche von Anfang an als risikobehaftet und krank definiert, angefangen bei der gynäkologischen Erstuntersuchung. Es gibt ja für Mädchen ein Initiationsritual, wenn sie noch vor der ersten Regelblutung dem Gynäkologen „vorgestellt“ wird. Da wird die Brust abgetastet, ob die Knospen schon ausgebildet sind, sie wird vaginal untersucht – ganz vorsichtig und mit einem extra schmalen Besteck – ob sich die Gebärmutter „richtig“ entwickelt. Der Penis eines Jungen wird nicht vermessen.

Was ist daran problematisch – Mädchen können dabei doch ihren Körper kennenlernen?

Sie lernen ihn auf diese Weise aber nicht kennen. Was sie verstehen, ist, dass ihr Körper problematisch ist und potentiell krank. Eine Ärztin kann noch so sensibel sein, in der Beziehung zwischen Arzt und Patientin steckt der Begriff „Krankheit“. Zum Beispiel die Impfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll und die jetzt von einigen Kassen übernommen wird. Die muss vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen. Ein Mädchen lernt also zu Beginn ihrer Sexualität, in manchen Fällen noch bevor sie eigene Phantasien dazu entwickelt, dass Geschlechtsverkehr krebserzeugend sein kann. Das finde ich katastrophal. Und warum entwickelt man nichts für den Jungen? Der ist schließlich Überträger des krebsauslösenden Virus. Eine Parallele dazu sind die verschiedenen Verhütungsmethoden: Es gibt unzählige für Frauen und nur zwei für Männer: Kondome und Sterilisation.

Aber rechtfertigt der Zweck nicht die Mittel? Lieber impfen als Krebs?

Im Prinzip ja, aber die Impfung ist nicht evidenzbasiert, dass heißt, der Nutzen für die individuelle Patientin ist nicht bewiesen.

Was ist mit Brustkrebsfrüherkennung? Sie gehörten zu den Kritikerinnen des Mammografiescreenings in Bremen, weil es Frauen suggeriere, sie würden zwei tickende Zeitbomben vor sich hertragen. Die Betroffenen sagen aber, dass sie froh sind über diese Möglichkeit.

Kritisiert oder besser eingefordert haben wir, dass Frauen umfassend und ergebnisoffen über Vor- und Nachteile informiert werden. Im Übrigen ist uns im Nachhinein bestätigt worden, dass wir recht hatten mit unserer Kritik. Im Ergebnis haben wir jetzt in Bremen eine international beachtete und gepriesene Broschüre zur Brustkrebs-Früherkennung, die der Frau die Entscheidung überlässt. Ich muss das noch einmal ganz deutlich sagen. Mir geht es um das System, nicht die individuelle Frau. Ich will keiner das Recht nehmen, Angebote in Anspruch zu nehmen. Sie muss aber wissen, was sie tut und was sie sich damit einhandelt.

Haben Sie ein Beispiel, wie das System wirkt?

Man kann bei den Wechseljahren sehr deutlich sehen, welch unterschiedliche Perspektiven man darauf haben kann und welche Konsequenzen das hat. In unserer Kultur werden die Wechseljahre, die Phase nach der Fruchtbarkeit als Zeit des Mangels betrachtet, dem mit Hormonen gegengesteuert werden muss. Man könnte aber auch genauso gut sagen, Schwangerschaft ist eine Phase der Überdosierung mit Hormonen, wogegen dringend etwas getan werden müsste. Es gibt Vergleichsstudien mit Ländern, in denen das Älterwerden positiv konnotiert ist. Und so eine Überraschung: Dort gibt es keine Wechseljahre-Beschwerden.

Dennoch hat die individuelle Frau doch immer noch die Möglichkeit, sich gegen das System zu wehren, keine Pränataldiagnostik machen zu lassen, keine Hormone zu schlucken.

Ja, aber das verlangt eine unglaubliche Kraft. Denken Sie an den Mutterpass. Da kann ein Arzt unzählige Kreuzchen machen, warum eine Schwangerschaft risikobehaftet sein könnte. Das wirkt sich doch auch auf die Haltung der Frau aus. Wir haben in Deutschland über 70 Prozent Risikoschwangere, ohne dass dies medizinisch erklärbar ist.

Die Ärzte sind schuld?

Sie sind Teil des Systems und wollen natürlich Geld verdienen. Es ist deshalb schwierig sie ins Boot zu holen, selbst wenn sie manche Probleme genauso sehen. Zum Beispiel die hohe Kaiserschnittrate: 28 Prozent der Kinder werden auf diese Weise entbunden. Wir wollten gucken, ob man im Land Bremen diese Quote senken kann und versuchen darüber mit den Ärzten ins Gespräch zu kommen. Die würden auch gerne weniger schneiden, weil sie sagen, wir haben uns für den Beruf entschieden, weil wir Geburten begleiten wollen. Sie halten sich aber gar nicht für verantwortlich, sondern sagen, die Frauen wollen das so und wenn wir einen Fehler machen, stehen uns sofort die Regress-Klagen ins Haus.

Und was müssten Ärzte und Ärztinnen ihrer Meinung nach tun?

Sie sollten die Kräfte von Frauen mobilisieren und sie nicht als Risikoträgerinnen betrachten. Das spart letztendlich auch Geld.

Warum?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Kinderärzte erzählen, dass immer mehr Frauen zu ihnen kommen, um sich die Gesundheit ihrer Kinder bestätigen zu lassen, und nicht um Krankheit zu melden. Das hat damit zu tun, dass sie sich mit ihrem Körper nicht sicher, sondern bedroht fühlen.

Und was müsste sich auf der Ebene des Systems ändern?

Wir müssen uns fragen, ob wir das facharztgebundene Gesundheitssystem, wie wir es jetzt haben, brauchen, oder ob ganz andere Fachkräfte gefragt sind. Stadtteilbezogene Gesundheitsfürsorge wäre ein Stichwort. In Bezug auf Schwangerschaft und Geburt könnte man die Schwangerenvorsorge wie in anderen europäischen Ländern von Hebammen leiten lassen. Dort kommen nicht mehr Kinder als Frühgeburten zur Welt als in Deutschland, wo trotz der weltweit höchsten Gynäkologendichte und einem hochspezialisierten Vorsorgesystem die Frühgeburtenrate nicht gesenkt werden konnte.