„Viele Männer haben keinen Respekt“

Aus Wut über eine versuchte Vergewaltigung hat Michael Dauer vor 20 Jahren im Schwarzen Café, der Kultkneipe unweit vom Savignyplatz, von männlichen Gästen Eintritt verlangt. Das Geld ging ans Frauenhaus. Auch heute ist Gewalt noch ein Thema

MICHAEL DAUER, 58, betreibt seit 30 Jahren das Schwarze Café in Charlottenburg. Der Kollektivgedanke ist dort mittlerweile Kult, so wie das Flugblatt zu den Männereintrittspreisen.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Dauer, Gewalt gegen Frauen, was geht das Männer an?

Michael Dauer: ’ne ganze Menge. Wir sind den Frauen meist körperlich überlegen. Die Überlegenheit haben wir sozial kultiviert. Schau doch in die Geschichte: Wer hat recht? Der Mann hat recht. Und wenn ich nachts auf der Straße hinter ’ner Frau herlaufe, dann hab ich alle Möglichkeiten.

Was meinen Sie?

Ich weiß, dass die Frau sich nicht sicher ist. Es gibt genug Idioten, die das ausnutzen. Noch ein bisschen näher ran. Die Frau geht schneller. Auch ein bisschen schneller werden, aber immer schön hintendran bleiben.

Was machen Sie denn in einer solchen Situation?

Ich lasse mich zurückfallen. Oder ich gehe auf die anderen Straßenseite. Hören Sie, ich hab zwei Töchter. Mitzukriegen, dass die solchen Situationen ausgesetzt sind, das macht mir als Vater, als Mann, Angst. Ich weiß doch, um was es geht.

Um was geht es?

Respekt ist das Wichtigste. Gleichberechtigtes Miteinander.

Das klingt einfach. Wie lebt man als Mann das gleichberechtigte Miteinander, wenn man weiß, man ist physisch und gesellschaftlich im Vorteil?

Ist es so schlimm, wenn man im Vorteil ist? Die Kraft, die ich in einer Situation mehr habe, setze ich doch für uns, für Männer und Frauen gemeinsam, ein. Ich finde nicht, dass man eine Überlegenheit wegbügeln sollte. Nutz meine Kraft, um das Klavier hochzuheben.

Aber warum kommt es dann zu sexueller Gewalt?

Weil viele Männer keinen Respekt haben.

Warum haben sie keinen Respekt?

Weiß der Teufel, warum nicht. Ich verstehe auch nicht, warum es geil ist, Macht zu haben. Das geht mir ab. Ich sehe das ja, dass andere nicht so denken. Vor ’ner Woche kam ein Mann in Begleitung einer Frau bei uns ins Schwarze Café, so ein Typ Lude, aber nicht oberschmierig. Die Frau setzt noch an zu fragen, ob er lieber oben im ersten Stock oder unten sitzen will, da schiebt er sie mit ’ner deftigen Handbewegung grob nach oben. In dem Augenblick kommt ein Kellner aus der Küche und ist ganz freundlich zu ihm. Müssen wir zu dem noch freundlich sein?

Was müsste passieren, damit der Mann seiner Begleiterin gegenüber respektvoller wäre?

Er müsste nachdenken. Die Gesellschaft müsste in der Lage sein, andere Bilder zu entwerfen. Wie verändert sich ein Bewusstsein? Aber wie soll ich über eine so große Frage reden, ohne der Oberschwätzer zu sein? Ich kann es nur für mich klarkriegen, kann nur deutlich machen, was ich von diesem oder jenem Verhalten halte. Ich kann den Kellner fragen, was er macht, wenn er zu einem Gast mit so üblen Umgangsformen noch redet, als sei er sein Kumpel?

Auch wenn Sie nur sich ändern können, haben Sie vor 20 Jahren doch zu einer anderen Methode gegriffen, um viele Männer anzusprechen. Sie haben im Schwarzen Café, das sie zehn Jahre zuvor mit Freunden und Freundinnen gegründet hatten, Eintrittspreise für Männer erhoben. Das Motto war: Männer gegen Vergewaltigung. Das Geld haben Sie dem Frauenhaus gespendet. Wie kam’s?

Wir wohnen im Erdgeschoss im Hinterhof vom Schwarzen Café. Wir fühlten uns sicher. Die Fenster offen. Andere aus dem Café wohnten ja auch da. Eines nachts ist ein Mann eingestiegen ins Zimmer meiner Frau. Der Typ hat sie betatscht, befummelt. Dabei ist sie aufgewacht und hat sich gewehrt. Da hat er ihr ein blaues Auge geschlagen, dann ist er abgehauen. Das sitzt in den Knochen. Das Paradiesische der Situation – vorne arbeiten, hinten wohnen – ist weg. Du fängst an zu kontrollieren. Du denkst: Hab ich die Fenster auch zugemacht? Du überlegst, ob du Gitter anbringst. Der Zauber ist weg.

In Ihrer Wut haben Sie in einem Flugblatt die Cafébesucher mit den Männerpreisen konfrontiert. Da steht: Um der herrschenden Ungleichbehandlung von Mann zu Weib eine hinzuzufügen: Es wird teuer für Mann im Café.

Wenn man das Flugblatt liest, spürt man: In mir war nur Hilflosigkeit. Ich meine so Sätze wie: Noch hast du einfach nichts kapiert, Mann. Es ist keine Kunst Männer, Mann, übers Portemonnaie zu erreichen. Männer sind in der Regel meilenweit von sich entfernt, und das Loch ist auch nicht in deiner Sohle, sondern in deiner Birne. – Wenn ich die Sätze heute lese, dann spüre ich die Zeit von damals. Aktuell ist es trotzdem. Wir haben das Flugblatt ja all die Jahre in der Speisekarte gelassen. Immer wieder kopiert. Fast unleserlich.

Wie war die Zeit damals denn?

Nach all dem Aufbruch mit Studium nicht zu Ende machen und Sponti und Flugblätter verteilen und sozialistischem Arbeitskollektiv und Antiatomkraft und Anarchie war man halt im Kneipenkollektiv angekommen. Nach zehn Jahren war das Schwarze Café sogar so was wie ’ne Einrichtung im gediegenen Charlottenburg. Eine Mischung aus Keller und Kaffeehaus mit allerhand alternativen Ideen. Schwule, Lesben, Alleinerziehende waren dabei. Natürlich hat man da auch das mit der Frauenbewegung mitbekommen.

Wie haben Sie das mitbekommen?

Man hat es kapiert, weil die Frauen damals mit den Themen auf die Straße sind: Gewalt. Vergewaltigung. Selbstbestimmung über den Körper. Abtreibung. Missbrauch. Kindererziehung. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Hier auf dem Savignyplatz waren die Walpurgisnachtdemonstrationen. „Frauen erobern die Nacht zurück“ war ihr Slogan. Auf denen kam es manchmal zu Schlägereien mit Männern, die die Frauen anpöbelten. So was bekommt man mit. Man bekommt auch mit, wie der eigene Vater über die Mutter redet. Man hört, wie er sagt: Wenn ich meinen Arsch jeden Tag drei Stunden in die Sonne legen würde, würde meine Firma nicht so dastehen, wie sie dasteht. – Du denkst: Das ist doch nicht okay. Meine Mutter hat doch nicht nur die Familie, die Kinder versorgt, die hat in der Firma mitgearbeitet.

Sie haben das Verhalten der Männer infrage gestellt?

Auch das von Frauen. Ich hab einen Sohn, Paul. Seine Mutter hat mir zehn Jahre lang untersagt, ihn zu sehen, wann ich will. Ich hab das nicht verstanden. Ich meine, sie hat zeitweise im selben Haus wie ich gewohnt. Aber ich sollte nur donnerstags von 14 bis 18 Uhr mit ihm was machen. Ich war sauer, ich war traurig, ich will mit Kindern leben.

Ging es Ihnen um Sie selbst, oder ging es Ihnen ums Kind?

Es ging um Alltag. Erst als ich kapiert habe, dass die Mutter meines Sohnes die Gesetze, die Männer für sich gemacht haben, gegen mich, den Mann, richtete, hab ich gelernt, die Mutter meines Sohnes für ihr Verhalten nicht zu hassen. Wenn ich sie hasse, gebe ich dem Kind, das ich liebe, ja noch eins drauf. Wenn du nachdenkst, stellst du fest: Die Gesetze zum Sorgerecht sind so, dass Männer, wenn es mit einer Frau nicht klappt, freie Hand haben für die nächste. Damals zumindest war es so. Im Grunde haben also die Männer, die die Gesetze gemacht haben, mir das eingebrockt. Auf sie müsste ich wütend sein.

Wie sind Sie denn, wenn Sie wütend sind?

Ich werde laut. Ich schreie. Natürlich erschreckt das die anderen. Ich sage: Wenn du das für eine Machtdemonstration hältst, dann sage ich dir zum hundertsten Mal, es ist Hilflosigkeit. Ich schreie doch nicht gerne. Ich will verstanden werden. Ignoranz ist auch Macht. Ich hab mir schon die Knochen gebrochen, weil ich gegen Wände geschlagen habe.

Haben Sie schon mal nicht nur gegen Wände geschlagen?

Einmal wollte ich meine Tochter schlagen. Gut, man müsste hier die ganze Geschichte aufrollen. Der Kontext ist wichtig. Sie hat es jedenfalls geschafft, das Schlechte aus mir rauszuholen. Ich hab sie gestreift und stattdessen den Bettpfosten getroffen. Seither ist mein Finger steif. Es ist natürlich nicht okay: Ich der Erwachsene, sie der Teenager. Lange habe ich den steifen Finger deshalb auch als gerechte Strafe betrachtet. Ich bin damit nicht zum Arzt. Heute finde ich das achtlos mir selbst gegenüber.

Haben Sie auch mit anderen Gewaltthemen Erfahrung?

Welchen?

Pornografie etwa?

Ich habe noch keinen Porno gesehen, der mich angeregt hat. Gut, vielleicht bin ich da weit weg von der Mehrheit. Aber ich denke, dass jeder so empfinden müsste wie ich.

Warum gibt es dann die Pornoindustrie?

Weil wir in gewalttätigen gesellschaftlichen Zusammenhängen leben. Kapitalismus, Sozialismus – das System zwingt sich den Leuten auf. Obwohl, was man so hört, soll Sex in der DDR geiler gewesen sein als bei uns.

Mal noch persönlicher: Sind Sie sicher, dass Sie noch nie mit einer Frau geschlafen haben, die nicht wollte?

Ich hoffe, nicht. Ich lauf aber auch nicht mit erigiertem Glied rum; es ist für mich keine Waffe. Wenn es nur um die eigene Befriedigung geht, kann ich mir einen runterholen. Es geht doch darum, die Lust des anderen zu spüren und in dem Zusammenhang auch die Lust zu erfahren, die sich bei dir selbst entwickelt.

Und Verhütung – wer ist zuständig?

Ich wollte ja Kinder. Aber nach den beiden Mädels meinte meine Frau: Du könntest auch mal verhüten. Da musste ich in mich gehen. Wenn es mit ihr wieder nicht klappt, wie mit der Mutter meines Sohnes, willst du dann mit ’ner neuen Frau noch ein Kind? Du hast drei. Mit jedem hab ich die Welt neu entdeckt. Ich hab mich sterilisieren lassen.

Wie haben die Männer im Café eigentlich auf die Extra-Eintrittspreise reagiert?

Mit Abwehr: Na horch mal … Ich doch nicht … Das ist aber ungerecht … Meistens haben die Frauen für die Männer bezahlt.

Wie redet man als Mann in einer solchen Kaffeehaussituation denn mit anderen Männern über Gewalt gegen Frauen?

Wir sind es nicht gewohnt, darüber zu reden. Frauen hecheln alles durch: Familie, Erziehung, Sexualität. Wie sich Orgasmen anfühlen, wie sie sich nicht anfühlen, weiß der Gott was. Aber wir, wir machen das nicht. Dabei kommen wir nicht drum herum, dass viel Gewalt von uns Männern ausgeht. Ich meine, selbst auf den Toiletten im Café hier haben wir schon Spanner gehabt. Wenn man das mit Wildfremden am Tisch durchspricht, stößt man auf Abwehr. Es sind immer die anderen. Dabei haben wir doch nur eine Mark extra verlangt. So viel, wie damals in der Peepshow verlangt wurde.

Jetzt zum Frauentag und zum 20-jährigen Jubiläum der Männereintrittspreise wollen Sie die Aktion noch mal aufleben lassen?

Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ ist wichtig. Aber so richtig entschlossen, mit der Spendenbüchse rumzugehen, sind wir noch nicht.

Glauben Sie eigentlich, dass sich was verändert hat in den letzten 20 Jahren zwischen Männern und Frauen?

Mir gefällt, wie selbstbewusst meine Töchter sind. Wie selbstverständlich sie mit den Themen, den Tabus umgehen, was sich meine Frau und ich uns mühsam erarbeiten mussten. Mir gefällt, wie sensibel mein Sohn ist. Die Dramen mögen die gleichen sein: Wenn du liebst, bist du glücklich. Wenn du nicht geliebt wirst, bist du traurig. Aber im Umgang damit hat sich viel verändert.

Sind Sie denn ein Ausnahmemann?

So ein Quatsch. Ich bin nicht der Freund der Frauenbewegung. Bei meiner Auseinandersetzung geht es mir um das, was Männer machen und wie wir Männer damit klarkommen.