Punktuell gegen den Hüpftakt

Das Internet war ihr Erfolgsbeschleuniger, die Lust am Probieren wird nachgeholt: Doch noch ließen die Arctic Monkeys nur wenig aus ihrem neuen Album hören

Der große Saal im Postbahnhof ist wirklich nicht klein. Wenn die Menschen darin es schaffen, den dick betonierten Industriehallenboden durch synchrones Hupfen in Schwingung zu bringen, dann will das was heißen. Am Dienstagabend hieß es: Sie kommen noch, zu Tausenden. Sie kommen, durchweg freundlich gestimmt und emphatisch gespannt, um mit vier britischen Bürschchen Spaß zu haben.

Die Arctic Monkeys ließen dieses Konzert als einzigen Deutschland-Gig für 2007 ankündigen – noch bevor am 20. April ihr zweites Album „Favourite Worst Nightmare“ erscheinen soll. Ein bisschen über ein Jahr ist es her, dass ihr Debüt „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ auf Franz Ferdinands Domino-Label erschien. Als es damals herauskam, waren die meisten Arctic-Monkeys-Fans schon Arctic-Monkeys-Fans und füllten bereits seit Monaten ganze Stadien – die Band ist bekanntermaßen der erste internetgemachte Pop-Großact der Musikgeschichte. Was außerdem bisher, also in einem rasenden Ruhm-Lichtjahr, geschah: Die Monkeys verkauften ihr Debüt schneller und öfter als irgendjemand jemals, heimsten erst den Mercury Prize und dann noch zwei Brit Awards ein, ersetzten den ersten Bassisten durch einen zweiten, nahmen ein neues Album auf – und feierten wahrscheinlich alle ihren 21. Geburtstag.

Im Postbahnhof erwartete man eigentlich mehr als ein paar Hörproben aus dem neuen Machwerk. Aber die Band traute sich nicht, das ganze Ding einfach runterzuspielen, und streute das noch unbekannte Material eher in homöopathischen Dosen zwischen die „alten“ Kracher. Letztere funktionierten, da lohnen sich kaum Worte, prächtig. Ordentlich nach Alter in der Halle gestaffelt – vorne Teens, mittig Twens, hinten Dreißiger und an den Rändern die noch Älteren –, verband die Generationen außer den Ringelhemdchen und Chucks ein pervasives Seligkeitslächeln. Die Arctic Monkeys selbst begegneten dem berückend unallürenhaft – es kam noch nicht mal anbiedernd rüber, als Sänger Alex Turner auf Deutsch „Vielen Dank!“ sagte.

Und die neuen Stücke? Landen nicht mehr ganz so punktgenau. Haben es nicht mehr so mit den Tanzbeinrhythmen aus trockenen Ska-Akkorden und Triolen-Bass. Gehen mehr in die die Fläche. Ja, wirken irgendwie erwachsen, kunstig, so bisschen Richtung Art-Rock. „Brianstorm“, das die erste Single-Auskopplung werden wird, ist ein schneller, aber nichtsdestotrotz fast orchestraler Headbanger. Bei dem Stück mit dem tollen Titel „Fluorescent Adolescent“ macht die Sologitarre ein wenig auf entrücktes Hawaii, später kommt noch tribalistisch beschwörendes Getrommel zum Zug.

Nach Hits, Hits, Hits klang das alles nicht, eher nach Oeuvre. Das Publikum geriet trotz aller Vorsätze punktuell aus dem Hüpftakt.

Nach all dem verbucht man die Arctic Monkeys noch mal unter dem Stichwort Rasanz: Ein Jahr Ruhm, zack, das taugliche Rezept zur Gewinnung der Massengunst wieder zur Seite gelegt und anderweitig rumprobiert. Auch wenn die nächste Platte viele musikalisch enttäuschen sollte – in charakterlicher Hinsicht gibt es keinen Grund dafür. Die Arctic Monkeys entwickeln sich zu einem Exempel in Sachen Unkorrumpierbarkeit.

Zum Finale gab’s noch „A Certain Romance“, dann aber machten die konsequenten Jungmänner Schluss, nach nur einer knappen Stunde. Alles Fordern und Lärmen half gegen die freundlich-bestimmte After-Show-Beschallung nichts.

KIRSTEN RIESSELMANN