neues aus neuseeland: reisen mit der gemeinde von ANKE RICHTER
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Irgendwie ein Stück weit hinspüren – das geht nur, wenn man seinen Wortschatz seit 20 Jahren nicht gelüftet hat oder selten die Bioenergetikerin wechselt. Ansonsten ist der Psychojargon der Alt-Achtundachtziger gottseidank vom Aussterben bedroht. Doch kaum verschwinden „Beziehungsarbeit“ und „Frust“ in der Mottenkiste der Verbal-Onanie, da schleichen sich am anderen Ende der Welt schon wieder Plattitüden ins Volksvokabular.

Während Deutschland sich an Neu-Wörtern wie „Hartz-IV-Stelzen“ erbaut und dafür den großen Sprachkünstler Thomas Gottschalk gewinnen konnte, sind die Kiwis weniger feingeistig. Hier zählt noch der Mensch, nicht die Stütze, und daher ist das häufigste Wort, das man zwischen Invercargill und Kataia um die Ohren geschlagen bekommt, „community“. Das heißt so viel wie Gemeinschaft/Kommune/Szene und ist nicht näher definiert, als dass sich viele Menschen ominös als „community“ empfinden. Es gibt die Schul-, Sport- und Kunst-Community genauso wie die Autoknacker- und die Tourette-Syndrom-Community. Hoffentlich gibt es auch die Community derer, die allergisch auf das ständige Herbeibeten der „Community“ reagieren. Da würde ich gern Gemeindevorsteherin werden.

Letztens war ich auf einer Hochzeit, auf der die versammelte „community“ sich im Kreis an den Händen halten sollte. Außer dass ich die Braut kannte und in der Schlange am Büfett stand, verband mich nichts Kommunales mit den Gästen.

Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Neuseeland jemand behauptet, dies oder das sei „gut für die Community“: ein Schwimmbad, ein Kindergarten, die Wahl eines Politikers. Eröffnet ein Laden, der legale Aufputschpillen an junges Volk verkauft, dann wird garantiert geschimpft, das sei „schlecht für die Community“, obwohl die Community der Partygänger das sicher anders sieht als das örtliche Bibelkränzchen.

Als unser früherer Nachbar mit einem Bein im Knast stand, weil er geholfen hatte, gestohlene Bücher an Antiquariate zu verhökern, da sollten wir auf seine Bitte hin einen Brief an den Richter schreiben, dass er doch ein „gutes Mitglied der Community“ sei. Ob der Hehler-Community oder der Nachbarschaft, haben wir lieber nicht explizit erwähnt – Hauptsache, das C-Wort kam vor und der Mann frei. Zurzeit bewegt er sich in einer Ein-Mann-Community, denn die anderen Nachbarn schneiden ihn. Community bedeutet nur im Wörterbuch Zusammenhalt.

Das zweithäufigste Wort, das im angelsächsischen Sprachraum inflationär gebeutelt wird, ist „journey“ – die Reise. Alles ist eine Reise – zu dir selbst, zum Postamt, zum Abi, zum Mülleimer. Dadurch, dass alles von Kloputz bis Ehescheidung als „journey“ verkitscht wird, bekommt jeder Lebensschritt esoterischen Glanz. Wer sich gegen Krebs bestrahlen lässt, erlebt nicht die Hölle, sondern seine „cancer survival journey“.

Entscheidungslosigkeit, Niederlagen, Nabelschau – eine einzige große Tour ohne Neckermann. Wir sind alle konstant auf Reisen, und daher wundert’s nicht, dass tatsächlich schon die ersten Kinder auf „Journey“ getauft werden. Hauptsache, so ein Name passt irgendwie ein Stück weit in die Community.