GEORG LÖWISCH UNBELIEBT
: Das sprechende Gesicht

Ralf Stegner sitzt der SPD von Schleswig-Holstein vor. Zum Grillen wird er trotzdem nicht eingeladen

Der Politiker Ralf Stegner hat ein sprechendes Gesicht. Er kann seine Worte wägen, an Formulierungen feilen oder einfach schweigen, auch jetzt im Frühstücksraum eines Berliner Hotels. Aber sein Gesicht lässt sich nicht zähmen, die Mundwinkel, die Augenpartie, das Kinn. Sie sagen, was Stegner durch den Kopf geht.

Als er noch ein aufsteigender SPD-Chef von Schleswig-Holstein war, saßen wir mal an einem See in einem Fischrestaurant. Weil er ein „Tatort“-Narr ist und ich mich ein bisschen einkratzen wollte, sagte ich, dass ich den Kieler Kommissar toll finde. Stegner schwieg. Sein Gesicht sagte: Er ist gut, aber du sagst das nur, weil du dich einkratzen möchtest. Ich schimpfte: „Und die Typen in Münster machen den ‚Tatort‘ zu einer doofen Polizeiklamotte!“ Er nahm einen Bissen und sein Gesicht sagte: Hast du Idiot gar keine Ahnung?

Stegner kommt aus Emmendingen ganz in der Nähe von Freiburg, wo ich aufgewachsen bin. Daran mag es liegen, dass er mir sympathisch ist. Neben dem Dings mit dem Gesicht. Und neben der Tatsache, dass er eine klare Selbstbeobachtung hat. Er weiß, dass er leicht schneidend wirkt und bissig. Er sagt: „Das Auge dominiert das Ohr.“ Er hat versucht, das zum Vorteil zu wenden. Als Kieler Innenminister machte er sich zum Anti-Schäuble. Und als Koch und Bild eine Anti-Rot-Rot-Grün-Kampagne ritten, profilierte sich Stegner dagegen.

Dann standen 2009 Wahlen im Norden an. Der Konkurrent von der CDU war Peter Harry Carstensen. Es hieß nie: Ralf gegen Carstensen. Es hieß: Stegner gegen Peter Harry. Peter Harry – weiße Haare, braungebrannt – sieht immer aus wie Käpt’n Iglo, der gerade an hungrige Segler frisch gegrillten Fisch und aufmunternde Sprüche verteilt. Spricht man Stegner auf Carstensen an, sagt er: „Viele wollen Politiker, die sie auch gern beim Grillen dabeihaben würden.“ Sein Gesicht sieht aus, als hätte er im Mund gerade eine Lebertrankapsel gesprengt.

Stegner wollte 2009 im Wahlkampf weicher wirken. Er trug seltener Fliege, schlüpfte in eine lässige Lederjacke und klapperte die Dörfer ab. In einer Beliebtheitsumfrage war er am Ende nur vier Prozentpunkte von Peter Harry entfernt. Aber er verlor. Was blieb, war der Traum, es nächstes Mal zu schaffen. Zum Grillen eingeladen zu werden.

Doch dann kam Torsten Albig. Er war mal Pressesprecher im Bundesfinanzministerium, fast alle Journalisten mochten ihn. Seinen Chef Peer Steinbrück machte er zu einem der populärsten Politiker. Später wurde Albig selbst ein SPD-Held. Oberbürgermeister von Kiel. Nächstes Ziel: Ministerpräsident.

Stegner sitzt am Frühstückstisch, er schaut auf die Uhr, gleich muss er rüber ins Willy-Brandt-Haus zum Präsidium. Sein Landesverband hat eine Mitgliederbefragung veranstaltet. Es ging darum, wer Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2012 wird. Albig hat gewonnen, Stegner verloren. Am 9. April will er auf einem Parteitag in Husum wenigstens Landesvorsitzender bleiben. Er sagt: „Ich musste mich erst sortieren.“ Sein Gesicht sagt: In dem Spielchen geht’s ums Überleben, aber ich hab ein ordentliches Blatt.

Stegner glaubt, dass viele SPD-Mitglieder vor allem den Kandidaten wollten, dem sie den Wahlsieg zutrauen, weil er besser ankommt. Als Landesvater. Als Grillpartner. Er ist das nicht und muss es nun auch nicht mehr sein. „Ich möchte mich nicht verstellen“, sagt Stegner. Dasselbe sagt sein Gesicht.

Der Autor leitet die sonntaz- Redaktion Foto: Wolfgang Borrs