KOMMENTAR: JEAN-PHILIPP BAECK ÜBER NIEDERSACHSENS ABSCHIEBEPRAXIS
: Der Paragrafen-Wechsel fehlt

Pistorius hat bewiesen, dass auf seinen Paradigmenwechsel kein Verlass ist

Der Fall von Suzana S. und ihren Kindern ist unfassbar: 28 Jahre lebt Suzana S. in Deutschland, zieht allein fünf Kinder groß, jobbt nebenbei. Sie alle sind Roma und sollen nun nach Serbien abgeschoben werden. Das ist ein Härtefall, ja, und deswegen verweisen ganz pragmatisch sogar die grüne Innenpolitikerin und das Niedersächsische Innenministerium – also jene, die die Gesetze ändern könnten – an die Härtefallkommission.

Und genau darin liegt in Niedersachsen das Problem: Der von der rot-grünen Landesregierung seit 2013 beworbene und oft zitierte „Paradigmenwechsel“ in der Ausländerpolitik hat sich bislang vor allem in einer Reform der Härtefallkommission niedergeschlagen. So viele Einzelfälle werden hierhin verwiesen, dass die Kommission schon gar nicht mehr hinterherkommt. Diejenigen, über die verhandelt wird, können allerdings nur auf „Gnade“ hoffen – Rechte, etwa in Form von Einsprüchen, haben sie hier nicht.

Aber statt immer wieder an die Härtefallkommission zu verweisen, müssten sich in Niedersachsen neben Paradigmen auch die Paragrafen ändern. Es bräuchte endlich Erlasse und Anweisungen an die Ausländerbehörden, ihre Ermessensspielräume tatsächlich humanitär auszulegen. Der SPD-Innenminister Boris Pistorius muss nun dringend eindämmen, was sein ungeliebter CDU-Amtsvorgänger Uwe Schünemann angerichtet hat. Denn noch herrschen in den Behörden nicht nur Schünemanns böse Ideale, sondern auch seine üblen Vorschriften.

Für Verwurzelung und Integration sollte unbedingt mehr angerechnet werden, als die reine Lohnarbeit allein – so hat es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch bereits entschieden. In Bremen und anderen Bundesländern wurde dieser Fortschritt schon in Erlassen umgesetzt – Suzana S. würde hier nicht zum Härtefall, sie bekäme eine Aufenthaltserlaubnis.

Doch Innenminister Pistorius hat leider bereits bewiesen, dass auf seinen Paradigmenwechsel kein Verlass ist: Im Bundesrat hätte er etwas bewegen können, als unter anderem Serbien pauschal zum sicheren Herkunftsland deklariert werden sollte.

Er hätte genau das ablehnen können, weil es nicht stimmt, weil Minderheiten in Serbien sehr wohl diskriminiert werden und weil Deutschland eine historische Verantwortung hätte, sich mit Abschiebungen – besonders von Roma – nicht hervorzutun. Hat er aber nicht getan.