„Ein unglaubliches Talent“

HOFFNUNGSTRÄGER Der erst 15-jährige Martin Ødegaard wird in Norwegens Fußball-Nationalteam berufen

„Klar ist das eine tolle Sache, aber das Wichtigste war an diesem Tag für uns eigentlich, dass seine kleine Schwester ihren ersten Schultag hatte.“ Hans-Erik Ødegaard versteht es, Journalisten zu verblüffen. Die sogar diese Woche in internationalen Medien sofort verbreitete Nachricht, dass sein Sohn Martin erstmals ins Aufgebot der Nationalelf berufen worden war, landete bei ihm also nur in der Kategorie „ferner liefen“? „Nein, ich bin natürlich verdammt stolz“, gesteht der Papa dann: „Aber das ist ja wohl normal, oder?“

Normal ist bei Martin Ødegaard nicht viel. Im April wurde der 15-Jährige der jüngste Fußballer, der je in der ersten norwegischen Profiliga, der „Tippeliga“ spielte. Einen Monat später, nachdem der offensive Mittelfeldspieler für seinen Klub Strømsgodset den ersten Treffer erzielt hatte, kam auch noch der Rekord als jüngster Torschütze aller Zeiten in dieser Liga dazu. Und als Nationalcoach Per-Mathias Høgmo sein Kader für das Länderspiel am 27. August in Stavanger gegen die Vereinten Arabischen Emirate benannte, wurden in norwegischen Sportredaktionen erst einmal die Tage gezählt: Würde es für einen internationalen Rekord reichen?

Es fehlen 99 Tage. Eigentlich. 15 Jahre und 253 Tage wird Martin Ødegaard am 27. August alt sein. Was nicht ganz zum allerjüngsten europäischen Fußballnationalspieler reicht. Das war nämlich Samuel Johnston, der für den irischen Klub Distillery spielte und mit 15 Jahren und 154 Tagen am 18. Februar 1882 in Belfast bei der vernichtenden 0:13 Niederlage gegen England im allerersten Spiel einer irischen Fußballnationalmannschaft debütierte. Vermutlich aber nur, weil die ohne ihn sonst keine 11 Mann zusammenbekommen hätten, unkte man im norwegischen Rundfunk.

Nun spekulieren die norwegischen Medien schon mal, was ein Debüttor des Debütanten statistisch bedeuten würde. Doch davon will Martin gar nichts wissen: „Ich bin im Kader und stehe noch längst nicht auf dem Platz.“ Was allerdings nur eine Formsache sein dürfte. „Er hat mich überzeugt, ich will ihn in der Elf sehen“, erklärte Nationaltrainer Høgmo bereits. Und Jostein Flo, Exnationalspieler und nun Sportdirektor von Strømsgodset, der seinem jüngsten Spieler die Nationalmannschaftsneuigkeit übermittelte, kommentiert: „Das war eigentlich nur eine Frage der Zeit.“

Ein Geheimtipp ist Ødegaard längst nicht mehr. „Weltklasse kann der werden“, meint Ronny Deila, der ihn schon als 13-Jährigen zusammen mit der ersten Mannschaft von Strømsgodset trainierte und jetzt Trainer von Celtic Glasgow ist: „Er ist ein unglaubliches Talent.“ Dutzende Klubs hätten mittlerweile angefragt, erzählt sein Vater Hans-Erik, selbst ehemaliger Fußballprofi und jetzt Trainer: „Jeden Tag kommen neue Anfragen und die meisten würden ihn am liebsten gleich mitnehmen.“ Real Madrid und Barcelona hätten auf der Matte gestanden, aus Manchester United und City und aus Deutschland Bayern München, Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart. Aber ein ausländischer Klub käme nicht in Frage. „Er soll sich erst einmal in Norwegen entwickeln. Schließlich ist er erst 15 Jahre alt, er hat noch Schule vor sich.“ Zudem hat er bis Ende 2015 noch einen Vertrag mit Strømsgodset. Beim derzeit Drittplatzierten der Tippeliga führt er die vereinsinterne Punkteliste der Saison 2014 an. Natürlich.

Für die norwegische Nationalelf geht es ab jetzt um die Qualifikation für die EM 2016. Nur einmal, 2000, konnte Norwegen bisher an einer EM teilnehmen. Die Nationalelf ist seit Längerem chronisch erfolglos. Martin Ødegaard könnte eine Wende mit einleiten, meint Exnationalcoach Åge Hareide. Zugleich warnt er vor der grundsätzlichen Gefahr, junge Talente zu sehr hochzujubeln: „Die können leicht den Bezug zur Realität verlieren.“ REINHARD WOLFF