Deutsche Schulen sollen privater werden

Experten und bayerische Unternehmer fordern radikale Entstaatlichung der Schule. 30 Milliarden Euro mehr

MÜNCHEN/BERLIN dpa/afp ■ Führende Bildungsforscher haben gefordert, das tradierte dreigliedrige Schulsystem auf eine zweigliedrige Struktur aus Sekundarschulen und Gymnasien umzustellen. Die Schüler sollten frühestens nach dem 6. Lernjahr getrennt werden. Dies empfahl der „Aktionsrat Bildung“ gestern in München. Konsequenz wäre die Abschaffung der Hauptschulen. „Hauptschulen sind in einigen Ländern eine Art Restschule geworden“, sagte der Chef der deutschen Pisa-Forscher, Manfred Prenzel.

Der Aktionsrat forderte Bund und Länder auf, noch in diesem Jahr einen „Masterplan für mehr Bildungsgerechtigkeit“ vorzulegen, der das gesamte Bildungssystem einbezieht – „von der Kinderkrippe bis zum Hochschulbereich“, sagte Prenzel.

Nach dem Gutachten soll der Staat die Schulen weiter finanzieren, ihren Betrieb aber an private Träger abgeben. Die Schulen entscheiden dann selbst über den Einsatz ihres Budgets und die Auswahl der Pädagogen. Die Lehrer würden grundsätzlich nur Fristverträge erhalten – also keine Beamten mehr sein. Ihre Verträge würden nur dann verlängert, wenn sie sich regelmäßig fortbilden.

Der Präsident der Kultusminister, Jürgen Zöllner (SPD), wies die Ratschläge zurück: „Grundsätzlich müssen die Schulen in staatlicher Verantwortung bleiben; denn der Staat muss garantieren, dass alle jungen Leute eine Ausbildung bekommen.“

Der Vorsitzende des Expertenrats, der Präsident der FU Berlin, Dieter Lenzen, sagte: „Je früher öffentliche Bildungsinvestitionen ansetzen, umso höher sind die Erträge und Chancen, Bildungsgerechtigkeit herzustellen“. Er forderte massive Investitionen ins Bildungssystem. Lenzen hatte schon die Vorläuferstudie „Bildung neu denken“ verfasst. Nach seinen Berechnungen, die als konkrete Zahl in der aktuellen Studie nicht auftauchen, wären für die Radikalreform 20 bis 30 Milliarden Euro nötig – pro Jahr.

Wie die Pisa-Studie kritisieren auch die Gutachter vor allem einen Mangel an Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. „Man muss befürchten, dass im derzeitigen System mehr als 20 Prozent der Kinder den Anschluss verlieren“, sagte Prenzel. Im internationalen Vergleich liege Deutschland im Mittelfeld. Der Aktionsrat wurde auf Initiative der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft hin gegründet.

Die GEW kritisierte die Vorschläge als „widersprüchlich und unausgegoren“. Mehr Ganztagsschulen und zusätzliche Investitionen in die Bildungen seien richtige Forderungen, erklärte GEW-Schulexpertin Marianne Demmer. Schulautonomie oder Privatisierung vergrößerten dagegen die Ungerechtigkeit im Bildungssystem. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, wandte sich gegen die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen. Dies würde zu einer massenhaften Überforderung bei einem Drittel der Schüler und einer Unterforderung bei einem anderen Drittel führen. Die Forderung nach einer befristeten Beschäftigung von Lehrern nannte Kraus „abwegig“, da dies die Kontinuität von Schule gefährde.

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