LESERINNENBRIEFE
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Bald kommen die Antivirtuellen

■ betr.: „Schwer überbelichtet“, sonntaz vom 16./17. 8. 14

Mit der Generation Smartphone hat das Foto eine neue Stufe erreicht. Es ist zum täglichen individuellen Kommunikationsmedium geworden. Will sagen, wo ich früher geschrieben oder erzählt habe: „Ich habe mir ein neues Auto gekauft“, schickt man heute ein Bild mit einem ergänzenden Text. Das ist einfacher und spart auch Zeit. Tatsächlich aber spart man den Akt der Versprachlichung. Das ist aber eine intellektuelle Leistung, die man regelrecht trainieren muss. Auch der Empfänger muss nicht mühselig Zeichen entschlüsseln, sondern braucht in der Regel nur einen Blick darauf zu werfen.

Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Neil Postman hat in seinem Buch „Das Verschwinden der Kindheit“ die visuellen Medien dafür verantwortlich gemacht, dass Kinder den Bildern, egal, ob sie Gewalt oder Pornografie darstellen, schutzlos ausgeliefert sind. Sie müssen nicht erst Lesen und Schreiben lernen, um sich die Welt der Erwachsenen zu erarbeiten. Das führt – so Postman – zum „Erwachsenenkind“. Nehmen wir die Sendung „Wetten dass ..?“, die in der Regel von der ganzen Familie gesehen wird. Sie ist so gestrickt, dass sie im Prinzip von Menschen von 5 bis 95 gesehen werden kann. Daraus resultiert ein niedriges intellektuelles Niveau. Das führt dazu, dass die Kinder nicht mehr denken lernen und die Erwachsenen es dann auch nicht mehr können, oder es verlernen. Wenn wir diese These auf die Smartphonetechnik übertragen, macht das Smartphone ganz im Gegensatz zu seinem Namen dumm. Es enthebt uns der notwendigen intellektuellen Leistung des sprachlichen Ausdrucks oder reduziert die Sprache auf eine Art Pidgin-Code.

Andererseits ist das Medium Smartphone ein unheimlich bequemes Kommunikationsmittel, das die Kommunikation sehr verdichten kann, im negativen wie im positiven Sinne. Der Kontakt zwischen den außerhäusigen Kindern, aber auch zu anderen Verwandten oder Freunden ist einfacher und kontinuierlicher, wohl aber inhaltlich flacher. Und überall, wo die Kommunikation dicht ist, kommt es natürlich auch zu negativen Effekten: Mobbing, Stalking etc.

Die Fotografie verliert mit dem Smartphone ihren „Besonderheitsstatus“ in der privaten Kommunikation. Dabei bleiben künstlerische und professionelle Fotografie noch erhalten, so wie die Bild-Zeitung ja auch nicht Goethes Faust ersetzt hat. Aber die professionelle und künstlerische Fotografie muss ihre Position neu definieren.

Einen anderen Aspekt gilt es noch aufzugreifen. Das ist der der scheinbaren Evidenz. Denn die Mediatisierung unserer Umwelt lässt uns zeitweise den Unterschied zwischen einem realen Erleben und einer Audiovisualisierung vergessen. Alles erscheint wahr und nichts ist wirklich. Dadurch empfinden wir uns als „ungeheuer erfahren“, erleben aber nur wenig wirklich. So wird das wirkliche Leben gerne – weil zu bedrohlich – ausgeblendet und man nimmt mit dem virtuellen vorlieb. Das führt zum Verlust der Fähigkeit zur realen Lebensbewältigung und im Gegenzug zu einer weiteren Abhängigkeit von den virtuellen Medien. Wahrscheinlich wird es demnächst die Antivirtuellen geben, die den ganzen digitalen Müll an der Recyclingstation abgeben und sich Papier und Bleistift kaufen und richtige Spiele spielen und ins Theater gehen, Bücher lesen und sorgenvoll auf all die debilen Virtuellen schauen. JOACHIM PAETOW, Bremen

Prekäre Jugendbildungsarbeit

■ betr.: „Massenkündigung bei Ver.di“, taz vom 13. 8. 14

Zu den genauen Details des Konflikts können wir als ver.di keine Stellung nehmen. Denn die Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe e. V. ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein, der sein operatives Geschäft unabhängig von ver.di gestaltet.

Gleichwohl halten wir allgemein fest: Die Bildungsstätte ist gewerkschaftsnah insofern, als dort auch Seminare der Jugendbildung mit gewerkschaftspolitischen Inhalten angeboten werden. Diese Tradition gewerkschaftspolitischer Bildungsarbeit war und ist innerhalb von ver.di nie verstanden worden als reguläre Lohnarbeit, geschweige denn als Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Vielmehr lebt diese Form gewerkschaftspolitischer Bildungsarbeit, die von haupt- oder ehrenamtlichen ver.di-Mitgliedern getragen wird, vom ehrenamtlichen Engagement jedes Einzelnen, wie dies auch vergleichbar in anderen Vereinen geleistet wird. Die Bezahlung für solch ein Engagement wurde und wird innerhalb von ver.di deshalb verstanden als eine Form der Aufwandsentschädigung.

Ver.di ist sich bewusst, dass die Bezahlung für solch ein Engagement gleichwohl für manche Teamer bzw. Trainer einen unverzichtbaren Beitrag zur Finanzierung des Lebensunterhalts darstellt. Auch deswegen hat der ver.di-Gewerkschaftsrat eine eigene Honorarregelung für freie Mitarbeiter in der gewerkschaftspolitischen Bildungsarbeit verabschiedet. Danach liegt ein Tagessatz für freiberufliche Trainer, die sich nicht mehr im Studium befinden, zwischen 225 und 450 Euro. Für Studierende, die Seminare leiten, liegt der Satz aufgrund ihrer niedrigeren Aufwendungen für die Krankenversicherung bei 150 Euro. Zusätzlich bietet ver.di allen Trainern die Möglichkeit, kostenlos die ver.di-internen Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote für Bildungstrainer wahrzunehmen.

Der JBS Konradshöhe erwirtschaftet keinen Profit und erhält zur Finanzierung der Seminare ausschließlich Gelder aus Projektmitteln (etwa vom Europäischen Sozialfonds) bzw. eine Regelfinanzierung vom Berliner Senat, aber keine Gelder von ver.di. Die externe Finanzierung legt fest, wie viel den Trainern gezahlt werden kann. Es ist klar, dass ein Tagessatz von 100 Euro eine prekäre Finanzierung darstellt. Ver.di, aber auch das Team der Jugendbildungsstätte Konradshöhe haben immer kritisiert, dass die politische Jugendbildungsarbeit in Deutschland besonders in Berlin von der öffentlichen Hand unterfinanziert ist. Sowohl ver.di als auch die Jugendbildungsstätte Konradshöhe setzen sich deswegen für eine deutlich bessere Finanzierung der Jugendbildungsarbeit ein. ANDREAS KÖHN, Berlin