Gezielt als Flüchtling angeworben

EXIL Deutschland sucht sich seine Syrer aus: Anis Hamdoun macht jetzt Theater in Osnabrück

Deutsch hört sich für Hamdoun an, als käme ein Metzgermesser auf ihn zu

BERLIN taz | Anis Hamdoun zieht an einer E-Zigarette. Sie schmeckt nach Kaffee. Nikotin will er sich abgewöhnen. Er habe schon genügend Laster, sagt er und zeigt auf seinen Bauch. Ihm gegenüber hängen an der Wand seines Wohnzimmers der kleinen Zweizimmerwohnung eine Verbtabelle und ein Blatt mit deutschen Substantiven: der Berg, der See. Die neue Sprache klang anfangs sehr befremdlich für ihn. „Als käme ein Metzgermesser auf dich herab.“ Doch nach sieben Monaten Sprachkurs hat er sich daran gewöhnt.

Der Theaterregisseur floh im September 2012 aus dem syrischen Bürgerkrieg zunächst nach Ägypten. Dort wartete er vergeblich auf eine Aufenthaltserlaubnis. Er hatte keine Arbeit und wurde als Ausländer auf der Straße angefeindet. Einen legalen Weg nach Europa fand er zunächst nicht. „Wenn man sich nicht auf die gefährliche Reise über das Meer einlässt, ist Europa für Syrer quasi unerreichbar.“

Doch eines Tages kam ein Bekannter auf Hamdoun zu und fragte ihn, ob er nach Deutschland wolle. Der Bekannte hatte einen ungewöhnlichen Auftrag. Er war von deutschen Regierungsvertretern um Namen von Oppositionellen gebeten worden, die als vertrauenswürdig gelten. Diese sollten sich auf das erste deutsche Kontingent für Flüchtlinge aus Syrien bewerben. Die Bewerbung bedeutete allerdings noch keinen sicheren Platz.

Hamdoun hatte sich in Syrien an friedlichen Demonstrationen gegen das Assad-Regime beteiligt. Auf einer Demonstration führte er das Theaterstück „Gesänge gegen einen Diktator“ auf. Als die Regierungstruppen ein Wohngebiet in Homs bombardierten, traf Hamdoun der Splitter einer Mörsergranate. Dabei verlor er sein linkes Auge. Seitdem trägt er eine Augenklappe. Als auch die Wohnung seiner Eltern von einer Bombe zerstört wurde, ging die Familie zunächst nach Damaskus. Von dort zog der Theatermann schließlich nach Kairo.

Seine Bewerbung um eine Aufnahme im ersten deutschen Kontingent syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge hatte Erfolg. Im November 2013 flog er mit seiner Frau Zainab nach Hannover, beide meldeten sich bei der Ausländerbehörde in Osnabrück. Und wieder hatten sie Glück: Nach nur einer Woche im Flüchtlingswohnheim wurde ihnen eine Wohnung angeboten. Parallel nahm Hamdoun Kontakt zum Englischen Theater der Stadt auf und fing dort ehrenamtlich als Regisseur an. Ende Juni führte er sein erstes Stück auf: „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde. Im November soll „Tartuffe“ von Molière folgen.

Im Mai beteiligte er sich an einer Kunstaktion in Berlin: Das „Zentrum für politische Schönheit“ hatte eine gefälschte Internetseite der „Kindertransporthilfe des Bundes“ eingerichtet. Als Begleitaktion sollten in der ebenfalls gefälschten Show „1 aus 100“ insgesamt 100 Kinder aus Syrien eine Aufnahme in der Bundesrepublik gewinnen. Mit der Aktion sollte die deutsche Regierung aufgefordert werden, mehr Syrer aufzunehmen.

„Provokation ist eine gute Sache“, sagt Hamdoun. „Damit bringt man die Menschen dazu, nachzudenken und im besten Fall auch zu handeln.“ Die Zusage, insgesamt 20.000 Geflüchtete aus Syrien aufzunehmen, sei gut. Deutschland könne aber mehr tun, findet Hamdoun. JOHANNA TREBLIN