Den Rahmen sprengen

Der Prozess jenseits des Produkts: Das Filmexperiment „La Commune“ des Filmregisseurs Peter Watkins aktiviert die widersprüchliche Menge im Kontext der Bilderproduktion

Wie repräsentiert man das Handeln der Menge? Wie verleiht ein Film dieser Menge eine Form? Lassen sich die Prinzipien der Kollektivität und Selbstorganisation angemessen repräsentieren? Das sind vielleicht die zentralen Fragen, die Filmregisseur und Medienkritiker Peter Watkins in seinem Filmexperiment „La Commune“ stellt, das heute im Medien-Pädagogik-Zentrum zu sehen ist. Der eigenwillige Film spielt die Ereignisse der Pariser Kommune nach und filmt das Handeln der Akteure aus der Perspektive zweier Fernsehsender – des staatlichen „TV Versailles“ und des offenen Kanals der Kommune. Gedreht wurde „La Commune“ – dem chronologischen Verlauf der Geschehnisse folgend – binnen 13 Tagen im Juli 1999 in einer leer stehenden Fabrikhalle am Rand von Paris. Mitgewirkt haben dabei 220 AkteurInnen, meist ohne schauspielerische Ausbildung, darunter viele Arbeitslose und Sans-Papiers aus Marokko und Algerien. Gefördert wurde „La Commune“ zunächst vom Fernsehsender Arte und dem Pariser Musee d’Orsay. Für die Produktion einer Version fürs Kino fehlt aber nun das Geld. Arte hat die Abmachung, eine Videoedition herauszugeben, nicht eingehalten und der Film – 345 Minuten lang – hat bisher weder einen Verleih noch einen Vertrieb gefunden. Denn ausgehend von der Frage nach angemessener Repräsentation hat Watkins einen Film entwickelt, der den traditionellen Rahmen der Produktion und Rezeption von Filmen auf drei Ebenen sprengt: Auf der Ebene der Form, auf der Ebene des Produktionsprozesses und auf der Ebene der Distribution und Präsentation.

So verzichtet Watkins zum Ersten auf einen klassischen Protagonisten. Die zentrale Heldin ist vielmehr eine Menschenmenge mit ihren Widersprüchen und Stärken, eine „kollektive Protagonistin“. Lange Kamerafahrten von Gruppe zu Gruppe fischen einzelne Diskussionen aus dem lauten Tumult heraus. Im Blick sind dabei immer mehr als drei Menschen. Eine Form, die soziale Dynamik vermittelt und weniger die „Action“ der Ereignisse als vielmehr die emotionalen Zustände und die Reflexion vor dem Hintergrund politischer Kämpfe zeigt. Der Film zeigt die Menge – zumeist mit Unordnung assoziiert – als begehrende, vielfältige konstituierende Macht und präsentiert ein Bild der Un-ordnung, die sich der Ordnung entzieht und einen Raum für selbstbestimmtes Handeln öffnet.

Am deutlichsten wird das Verlassen des gewohnten filmischen Rahmens deshalb auf der Ebene der Produktion. So recherchierten die AkteurInnen zunächst ein Jahr lang die Geschichte der Pariser Kommune und ihre eigene Rolle – unterstützt vom Research-Team des Films. Anschließend wurde in Gruppen weiterdiskutiert – über Hintergründe, Handlungsmotive, Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen politischen Situation. Auch während des 13-tätigen Drehs wurde debattiert – untereinander, mit Watkins, mit dem Team. Was kann man sagen? Wie fühlen? Wie auf aktuelle und historische politische Ereignisse reagieren? Was letztlich vor der Kamera improvisiert wurde, ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung.

„La Commune“ repräsentiert so die Suche nach einer Meinung und einer passenden Sprache. Nicht nur auf der Ebene der Form, sondern auch auf der Ebene der Aktivitäten der AkteurInnen. Und tatsächlich wird das Handeln der AkteurInnen zum Ende des Films hin immer freier, die Interviews mit den Journalisten und die Diskussionen untereinander länger. Immer wieder stellten die AkteurInnen auch die Hierarchie zwischen Regisseur und Spielenden in Frage. Die „Union des Femmes“ beispielsweise stellte im Verlauf der Produktion die Forderung nach einer halbstündigen Diskussion – ohne Schnitte, mit allen TeilnehmerInnen im Bild. Eine Forderung, auf die Watkins einging.

Auch auf der Ebene der Distribution und Präsentation des Films verlässt „La Commune“ schließlich den Rahmen. Im Anschluss an die Dreharbeiten blieben die AkteurInnen weiter in Kontakt und gründeten den Verein „Le ReBond pour la Commune“, der über eine Webseite nicht nur Videos und DVDs vertreibt, sondern auch Bücher, einen TeachingGuide für Screenings in Schulen und eine Ausstellung zum Film. Auf Präsentationstourneen organisierte der Verein Diskussionen und Workshops. Es geht also nicht nur um die Vertreibung des Films, sondern vor allem darum, den Prozess jenseits des Produkts bekannt zu machen.

Und so ist „LeRebond“ für Watkins letztlich der wichtigste Aspekt des Filmes und der Beweis, dass es möglich ist, Prozesse innerhalb audiovisueller Medien zu schaffen, die sich jenseits der Begrenzungen des „rectangular frames“ bewegen.ROBERT MATTHIES

Sa, 10. 3., 15 Uhr, Medien-Pädagogik-Zentrum, Susannenstraße 14d (im Hinterhof); www.mpz-hamburg.de, www.lerebond.org