Mein Revier, dein Revier

GRÜNZEUG I Gegen eine Gartenkolonie ist die Kehrwoche ein Hippiefestival

Süß duftet der Flieder, weiß blüht der Kirschbaum, beseelt taumelt die Hummel durch die laue Frühlingsluft. Ja, so ein Kleingarten scheint die Wonne auf Erden sein. Doch das Idyll ist trügerisch. Unter dem dünnen Firniss des Grüns lauert das Grauen. Die Hummel, die von Blüte zu Blüte brummt, schwebt in Wirklichkeit im Eiseshauch sozialer Kontrolle.

Wer arglos einen Schrebergarten pachtet, unterwirft sich einem informellen, aber unerbittlichen Regime. Seine Handlanger: Nachbarn, die eben noch freundlich am Zaun grüßten. Seine Waffen: Angeblich nett gemeinte Tipps, Hinweise und Anspielungen, die auf Brennnesseln und Co. zielen, vor allem aber auf den mangelnden Einsatz zu ihrer Bekämpfung. Gegen eine Kleingartenkolonie ist die schwäbische Kehrwoche ein Hippiefestival.

Mich ereilte die Erkenntnis allumfassender Überwachung im Frühsommer. Ein Brief des Vereinsvorsitzenden, auf dem Umschlag das Wappen der Kolonie, meine Adresse in Druckbuchstaben, säuberlich nebeneinander gesetzt wie Betontrittsteine. „Sehr geehrte Gartenfreundin Zahn“, begann der Vorstand. „Ich muss Sie wegen des Zustands Ihrer Parzelle anschreiben.“ Die Hecke könne mal wieder einen Schnitt vertragen, der Rasen ebenso, das vom Weg aus einsehbare Vorbeet verdiene diesen Namen nicht mehr. „Ich bitte darum, das Genannte zügig zu erledigen.“

Um ehrlich zu sein: Der Mann hatte Recht. Ich war drei Wochen lang nicht im Garten gewesen. Urlaub, Job, es gibt noch ein Leben jenseits der Kolonie, verdammt. Drei Wochen sind viel in der Hauptwachstumszeit. Der Rasen war zur Savanne geworden, die sacht im Wind wogte. Die Laube war hinter einem Dschungel aus Hainbuche nur mehr zu erahnen, kopfgroße Löwenzahnbüsche setzten pittoreske Kontrapunkte.

Als ich mich mit dem Elektromäher Zentimeter für Zentimeter durch das Chaos kämpfte, lehnte sich Rocko, der eine Nachbar, mit verschränkten Armen auf den Zaun. „Weeßte wat, mit dem Münniding schaffste dit nie. Viel ßu wenich Power, wennste mich frachst.“ Ich schob weiter, schnaufend, die Wangen schamesrot, während der Mäher irgendwo unten im Rasen röchelte. Es dauerte nur vier Stunden.

Ich würde jetzt gerne behaupten, dass ich mich von der sozialen Kontrolle frei gemacht hätte. Eine souveräne Gartenrebellin, die Löwenzahn Löwenzahn sein lässt – und Sprüche einfach weglächelt. Aber so ist es nicht. „Hach ja, man kommt beim Unkraut einfach nicht hinterher“, sagte der andere Nachbar, harkt sein picobello gepflegtes Staudenbeet und warf einen schiefen Blick auf mein Revier. Wenig später harkte ich auch. LEONIE ZAHN