Die Ehre der Deserteure

Wenn es nach Hitler gegangen wäre, würde Ludwig Baumann heute nicht mehr leben. „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben“, lautete die Weisung: 30.000 Deserteure verurteilte das NS-Regime damit als Wehrkraftzersetzer zum Tode. Unter ihnen war auch der heute 85-jährige Baumann, dessen Urteil allerdings in zwölf Jahre Zuchthaus umgewandelt wurde. Sein lebenslanger Kampf für die Opfer der NS-Militärjustiz wird an diesem Sonnabend mit dem Bremer „Friedens- und Kulturpreis“ gewürdigt.

Dem in Bremen lebenden Ludwig Baumann ist es nach Auffassung der Jury des Friedens- und Kulturhauses „Villa Ichon“ zu verdanken, dass die Verfolgten des NS-Militär-Strafvollzugs vor fünf Jahren offiziell rehabilitiert wurden. Dafür gibt es nun den mit 5.000 Euro dotierten Preis. Der Weg dahin war steinig und ist bis heute begleitet von Beschimpfungen, unter denen „Feigling“ und „Vaterlandsverräter“ die harmloseren sind.

Baumann selbst desertierte 1942 als Marine-Gefreiter in Bordeaux aus der Wehrmacht, wurde gefasst und verurteilt. Der zierliche Mann reist nach wie vor durch Deutschland, um als Zeitzeuge in Schulen von seinem und anderen Schicksalen zu erzählen. „Mehr als 20.000 Opfer der NS-Militärjustiz wurden hingerichtet, bis zu 100.000 kamen in Straf- und Konzentrationslager, Zuchthäuser und Strafbataillone“, sagt Baumann. Die meisten haben die Rehabilitation nicht erlebt, seien vorbestraft gestorben. „Heute sind wir vielleicht noch 20.“

In seiner Akte las er, dass sein Todesurteil sieben Wochen später in Zuchthaus umgewandelt wurde. Aber davon erfuhr er zunächst nichts. „Ich lag zehn Monate in der Todeszelle.“ An Händen und Füßen gefesselt und durch jeden Wachwechsel aufgeschreckt durch den Gedanken „Jetzt holen sie dich.“ Traumatisiert versucht er nach dem Krieg, Albträume und Schuldgefühle durch Alkohol zu betäuben.

Seine Erfüllung fand er allerdings erst, als er 1990 zusammen mit 36 weiteren alten und zumeist gebrechlichen Menschen die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz gründete. Ab diesem Zeitpunkt war er als Vorsitzender der Organisation in Sachen Würde unterwegs. Würde für alle die, die von NS-Militärrichtern verurteilt worden waren. Dass die Betroffenen am 17. Mai 2002 offiziell rehabilitiert wurden, beendete den Kampf allerdings nicht: Einerseits ist die Zahl der Gedenkstätten verschwindend. Andererseits blieben die Urteile gegen so genannte „Kriegsverräter“ weiterhin gültig. Betroffen sind jene Soldaten, die Juden warnten, der Zivilbevölkerung halfen oder zum Feind überliefen. „Soll denn Kriegsverrat Unrecht bleiben?“, fragt Baumann. EPD