Linkspartei verordnet sich Streit

Die Sozialisten wollen weg vom Image der Ostalgie-Partei. Die Führung wird auf dem Parteitag am Sonntag für eine neue Streitkultur eintreten – und gegen die Relativierung von DDR-Unrecht. Altkommunisten begehren dagegen auf

Jetzt reicht es ihm. Nach jahrelangem Diskutieren, Beschwören und Hoffen drängt Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer seine Genossen, endlich den Kampf ums Selbstverständnis der Partei auszufechten. Auf dem Landesparteitag am Sonntag will er ihnen das endgültige Bekenntnis zur Realpolitik abverlangen.

Ein halbes Jahr nach der Abgeordnetenhauswahl holen die Genossen die Diskussion über Ursachen und Schlussfolgerungen der Wahlniederlage nach. Zu den Gründen für die Schlappe rechnen sie, dass sich die Partei fünf Regierungsjahre lang eine Grundfrage nicht ehrlich beantwortet hat: Wie halten wir’s mit dem Sozialismus nach DDR-Prägung? Diese Unentschiedenheit hat der Ex-PDS nach eigener Ansicht in der Öffentlichkeit geschadet. Den „Umgang mit der eigenen Geschichte und mit der Geschichte der DDR“ rechnet die Parteiführung zu den „konfliktträchtigsten Themen für die Partei“. Dazu zählen die Genossen das Verhalten des damaligen Kultursenators Thomas Flierl (Linkspartei). Bei einer Podiumsdiskussion in der Gedenkstätte Hohenschönhausen vor einem Jahr polemisierten Ex-Stasi-Offiziere lautstark gegen einstige Regimeopfer – Flierl trat dem nur zögerlich entgegen.

Die Delegierten stimmen nun über einen Antrag des Landesvorstands ab, der in kaum verhüllten Worten eine Abkehr vom bisherigen Schlingerkurs fordert. „Nicht immer“ sei die Partei der öffentlichen Aufmerksamkeit „mit der notwendigen Sensibilität gerecht“ geworden. Was wie eine Spitzfindigkeit klingt, ist viel mehr. Für Parteichef Lederer geht es um die Frage: „Was ist vom realsozialistischen Erbe bewahrenswert?“ Und er sieht Ärger voraus: „Das wird am Wochenende ein Streitpunkt sein.“

Gegen die Dogmatiker

Das zeigt bereits die Reaktion jener Linksparteiler, die Lederer und der Rest des Landesvorstands mit ihrer Formulierung treffen wollen: der dogmatischen „Kommunistischen Plattform“ um die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht. Die Mitglieder der Plattform wollen von fehlender „Sensibilität“ im Umgang mit der Partei- und DDR-Geschichte nichts wissen und fordern die Streichung dieser Passage. In einem eigenen Antrag beschuldigen sie die Führung „beträchtlicher Anpassung an den Zeitgeist“.

Genau das propagieren die Kommunisten in einem Antrag namens „Fünf Überlegungen zum Umgang mit Geschichte“: „Eine Übergangsperiode – nichts anderes kann der frühe Sozialismus sein – ist alles andere als vollkommen.“ „Früher Sozialismus“, das klingt unverfänglich. Bei solchen Worten platzt dem ansonsten besonnenen Parteichef der Kragen. Es müsse Schluss sein mit der verbreiteten Haltung „Der Zweck heiligt die Mittel“. Aller Voraussicht nach werden die Delegierten den Antrag des Landesvorstands abnicken. Doch die Parteierneuerung soll keine Revolution von oben werden.

Bereits während der Sondierungsgespräche mit der SPD im Herbst gelobte die Parteiführung als Folge der Wahlschlappe, die Mitglieder in den Bezirken künftig bei ihren Entscheidungen besser einzubinden. Sechs Monate später urteilt Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher: „Es ist nicht nur ein Versprechen gewesen, es hat auch stattgefunden.“ Marzahn-Hellersdorfs Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle assistiert: „Regelmäßig führen wir Gespräche zwischen Staatssekretären, Stadträten und Abgeordneten.“ Auch während der Klausur der Abgeordnetenhausfraktion im Februar saßen Bezirkspolitiker mit am Tisch.

Lompscher stellt aber auch die Gegenfrage an die Basis: „Wie groß ist das Interesse wirklich?“ Damit attackiert sie die „ideologische Linke“ in ihrer Partei, die „ein bisschen größer und ein bisschen älter“ sei als die Gruppe der realpolitischen Linken. Der Kampf um die Meinungshoheit ist also noch nicht entschieden. Bei aller Sorge, die öffentliche Geschichtsdebatte könnte alte Vorurteile beleben, wissen die Realpolitiker um Parteichef Lederer: Sie haben keine Wahl.

Muff der Ostpartei

Die Partei muss den Muff der nostalgischen Ostpartei loswerden, sonst geht sie zugrunde. Mehr als die Hälfte ihrer 8.900 Berliner Mitglieder ist älter als 70 Jahre. Sie würden kaum noch mit „brennenden gesellschaftlichen Konflikten konfrontiert“, konstatiert der Leitantrag.

Die Parteispitze schlägt Alarm: „Die Verankerung der Linkspartei.PDS in den gesellschaftlichen Strukturen ist dramatisch zurückgegangen.“ Der Appell an die Basis ist eindeutig: „Wir brauchen neue Mitglieder.“ Dabei helfen soll neben der neuen „Streitkultur“ auch ein altbewährtes Werbemittel: „Ziel sollte es sein“, schreibt der Landesvorstand den Parteitagsdelegierten, „dass jeder Genosse pro Jahr ein neues Mitglied gewinnt.“

MATTHIAS LOHRE