Ein würdiges Liedchen

In „Frauen regier’n die Welt“, dem Grand-Prix-Beitrag von Roger Cicero, steckt alles drin, was Deutschland heute ausmacht: Geschlechtergerechtigkeit, Tradition, Multikulti – und kein Swing

VON SUSANNE LANG

Bereit für eine kleine Reise? In eine sagenhafte Welt, mitten im vereinten Europa? Auf eine friedliche Insel des wohlgestalteten, guten Lebens, in dem Frauen regieren und Männer Anzug tragen? In einen Traum, der im Blick durch eine orange getönte Brille schon mal ein wenig reflektiert werden darf und trotzdem elfengleich mit lila Blümchenglitter besungen sein mag? Bereit vielleicht schon, aber das klingt zu realitätsentrückt?

Keine Sorge, denn es gibt sie wirklich, diese Welt, die sich beim deutschen Vorentscheid zum diesjährigen Eurovision Song Contest am Donnerstagabend im NDR präsentierte. Sie heißt Deutschland und gibt sich seit geraumer Zeit die beste Mühe, sich als derart großartige Welt zu inszenieren.

So gesehen waren die eineinhalb Stunden Show im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, in denen der deutsche Beitrag zum europäischen Schlagerwettbewerb ermittelt wurde, ein vorzügliches Imagegeschenk: immer auf dem Boden der gefühlten deutschen Wirklichkeit und immer auch Spiegel der gewünschten. Lehr- und Bilderbuch in einem. Ein kompakter Grundkurs in „Being German“ im Jahr 2007:

Politisches Bewusstsein. Wer am Internationalen Frauentag eine Unterhaltungsshow ausstrahlt, gibt sich und seinen ZuschauerInnen selbstverständlich deutlich zu verstehen, dass die Gleichberechtigung von Frau und Mann ein praktiziertes Erfolgsprojekt ist. Auf dem KommentatorInnensofa gilt nicht nur die Quote, nein, es gibt Frauenüberhang und Geschlechtergerechtigkeit (homo und hetero). Selbst Machowitze dürfen in einer toleranten Gesellschaft nicht fehlen, solange sie ein homosexueller Mann macht, der noch dazu Thomas Hermanns heißt und einen wunderbar ARD-Zielgruppen-kompatiblen Moderator abgibt.

Männer. Allen Alarmisten zum Trotz stehen die Verlierer der Geschlechtermodernisierung auf der Gewinnerseite, solange sie adrett anzusehen sind, gepflegt exotisch auftreten und mit weicher und beschwingter Stimme den Frauen Komplimente singen. Roger Cicero, der „erste deutsche Swingsänger“ hat mit seinen 36 Jahren bewiesen, dass er zur neuen, korrekten Männergeneration zählt, und wurde prompt belohnt. Mit seinem Liedchen „Frauen regier’n die Welt“ darf er („Ich stehe auf authentische Frauen“) im Mai in Helsinki für Deutschland singen. Die Zeit der Übergangsmänner, Vertreter des mit erhobenem Zeigefinger mahnenden Deutschlehrertums, ist endgültig passé. „Schade“, wie Heinz Rudolf Kunze nach seinem dritten und letzten Platz für den Song „Die Welt ist Pop“ anmerkte.

Mehrheit. Ganz im Sinne des Verfassungsrichters und Buchautors Udo Di Fabio („Die Kultur der Freiheit“) ist der deutsche Mainstream endlich im Westen angekommen. Die bildungsbürgerliche Mehrheit ab 30 Jahre plus liebt das authentische, das eigene, aber weltoffene, den amerikanisch anmutenden, in deutscher Sprache gesungenen Swing. Ihn bezeichnet Roger Cicero, der Sohn des internationale berühmten, deutschen Jazzpianisten Eugen Cicero, als „sein großes Projekt“.

Darin einschließen darf man seine überaus perfekte Auswahl des alten Eurovisionssongs, den alle KandidatInnen vor ihrem eigenen Beitrag vortrugen: „Zwei kleine Italiener“, ein modernisiertes Zitat aus den 60er-Jahren, in denen die Weltoffenheit angesichts der Gastarbeiter langsam entdeckt wurde. Über 50 Prozent der Abstimmenden hat Cicero überzeugt. Das volkstümelnde Schunkelschlagerdeutschland ist Minderheitenprogramm.

Multikulti. Wie es sich für eine offene, mit Ost-, West- und Noch-Nicht-EU-Länder verbundene Gesellschaft gehört, kann nicht nur Sieger Roger Cicero auf einen gefragten „Migrationshintergrund“ verweisen – er hat rumänische Verwandte, wie er in einem Fan-Chat verriet. Mit der Drei-Girls-Truppe Monrose, gecastet in der Show „Popstars“ war auch das türkisch-deutsche Band sowie das marokkanisch-deutsche geknüpft. Zwei der Sängerinnen sind Kinder aus Einwanderfamilien. Leider nur verteilte sich das Interesse der großen Teenie-Fangruppe an jenem Abend zwischen Monrose und der Konkurrenzshow „Germany’s Next Topmodel“ (ProSieben).

Tradition. Nach einem langen und nun doch so erfolgreichen Weg in die Moderne bleiben die eigenen Wurzeln selbstverständlich im Bewusstsein. Retro muss sein. Die nunmehr 70-jährigen Kessler-Zwillinge durften vom Balkon aus im Hamburger Schauspielhaus den Abend begleiten und den Sieger verkünden. Die Vertreter Deutschlands im letzten Jahr, die Band Texas Lightning durfte nochmals singen. Ebenso wie die Alt-Grandprix-Stars Wencke Myhre, Siw Malmkvist, Gitte Haenning, Johnny Logan, Katrina (von den Waves) und Buck’s Fizz.

Problem. Melodie ist keine drin, in dieser deutschen, frauenregierten Welt.