: Elegante Lösung
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Und wieder sind alle begeistert. Mit „intelligence et elegance“ habe Kanzlerin Merkel diesen Gipfel gemeistert, schwärmte Frankreichs Präsident Jacques Chirac. Es sei der „bedeutendste Gipfel, den ich als Kommissionspräsident erlebt habe“, versicherte Manuel Barroso. Merkel hat das selbstgesteckte Ziel erreicht: Alle Regierungen haben sich verbindlich darauf festgelegt, dass im EU-Energiemix 20 Prozent aus erneuerbaren Ressourcen kommen sollen. Das ist allerdings ein Durchschnittswert, der von der Kommission in nationale Ziele umgesetzt werden muss.
Nach der Sommerpause will die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Anteil des jeweiligen Mitgliedsstaats festlegt. „Kernkraft ist keine erneuerbare Energie“, hatte die Ratspräsidentin bereits am Vorabend klargestellt und damit französische Versuche, alle CO2-neutralen Energieträger gleichzustellen, ausgebremst. Nationale Besonderheiten sollen aber berücksichtigt werden. Ein britischer Journalist fragte, ob dieses Konzept denn Erfolgschancen habe. Schließlich bezeichne sich jedes Land als Sonderfall, weil es zum Beispiel schon jetzt einen hohen Anteil erneuerbarer Energien habe oder einen besonders kleinen, weil es viele Sonnentage verzeichne oder besonders wenige …
Merkels Reaktion auf diese Frage war ein Beispiel dafür, wie sie ihre 26 Amtskollegen am Verhandlungstisch zur Räson bringt und wie sie es schafft, knifflige Ausgangssituationen in einen persönlichen Erfolg zu verwandeln. „Das ist ja genau das Gute in Europa!“, rief sie und strahlte den Briten an. „Es betrachtet sich immer jeder als Sonderfall. So wird die Aufgabe wieder lösbar, weil am Ende alle in der gleichen Lage sind.“ Mehrere Länder hätten den umgekehrten Weg gehen wollen. Sie hätten erst nationale Ziele für jedes Land aushandeln und daraus den Gesamtprozentsatz an Erneuerbaren für die ganze EU berechnen wollen. „Das wäre nüscht geworden“, erklärt Merkel trocken.
Ob es nun etwas wird, ist längst nicht ausgemacht. Schließlich hat die EU schon jetzt Mühe, ihre bescheidenen Klimaschutzverpflichtungen einzuhalten. Da klingen 20 Prozent CO2-Reduktion und 20 Prozent weniger Energieverbrauch bis 2020, auf die der Gipfel sich zudem einigte, utopisch. Doch Merkel baut auf den ökonomischen Schub, der aus der neuen Gesetzgebung entstehen kann. „Es gibt technische Revolutionen, die wir heute noch gar nicht voraussehen können.“
In Deutschland sei aufgrund der Gesetzgebung die Windkraft schon jetzt „in die Nähe der Rentabilität“ gekommen. Von den Erfahrungen könnten andere Länder profitieren. Die Ausgangslage sei sehr unterschiedlich: In Lettland kämen schon heute 36 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen. „Biomasse wird sich in den nächsten Jahren im großen Stil entwickeln“ prophezeite Merkel. Die Halbzeitüberprüfung des EU-Haushaltes 2009 könne dazu führen, dass neue Prioritäten finanziell gefördert würden. Mit anderen Worten: Die europäischen Bauern können ihre hoch subventionierten Monokulturen vielleicht in das goldene Zeitalter von Biomasse und Biosprit hinüberretten.
Insgesamt bewertet der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes das Ergebnis des Gipfels positiv: „Es ist ein erster Schritt bei der Bewusstseinsbildung der Staatschefs getan.“ Die Politiker hätten verstanden, dass die Erneuerbaren auf der Angebotsseite Priorität haben müssten. Allerdings seien viele grüne Forderungen noch nicht erfüllt. So müsse schon jetzt ein ehrgeiziges CO2-Ziel für die Pkw-Generation nach 2020 festgelegt werden. „Wir brauchen einen Mindeststandard von 80 Gramm CO2 pro Kilometer – die Industrie hat schließlich einen Entwicklungsvorlauf von sechs bis acht Jahren.“