BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Schöne Stimmung mit Blondine im Sportdress

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Ringo ist ein Ort in Neukölln, wo das Prosecco-Trinken nicht nach Verzweiflung aussieht

Außer in Neukölln hat Neukölln einen schlechten Ruf. Rütli und Christiane F., dazu ein wenig „Knallhart“ im Kopf, und man möchte annehmen, südlich-östlich der Kottbusser Brücke befände man sich im Vorhof zur Hölle, der freien Wildbahn des Klappmessers. Dabei wohnen hier viele nette Leute, und nah am aufregenden Kreuzberg ist man auch, weshalb der ein oder andere Besserwisser die Gegend als Kreuzkölln bezeichnen möchte. Das ist natürlich hässlich und erinnert an Auffahrten und Staus hinter Dormagen. Nein, Neukölln kann auch alleine, hat es doch so schöne Orte wie das Ringo an der Sanderstraße zu bieten. In schlechter Mitte-Manier kennt man den Namen des Lokals erst, wenn man sich in die verrauchte Stube begeben hat und auf die Speisekarte schaut.

Dafür stehen frische rote Gladiolen auf der Bar, edle Metallkugellampen werfen ein warmes Licht auf den Tresen. Die Zuckerdöschen kommen vom Flohmarkt, die niedrigen Tische hätte man vor 20 Jahren gegen Plexiglasgebilde ausgetauscht. Die Wände sind dezent gestrichen, der Holzboden rundet die Geräuschkulisse angenehm ab. Nicht nur Menschen fühlen sich wohl, auch Gomez, der kleine weiße Kneipenhund, schaut zufrieden durch sein Revier.

Seine Besitzerin ist eine hochgewachsene Blonde. Die turnt im legeren Sportdress zwischen den Tischen hin und her, wischt hier mal ab, bringt dort ein Bier und verbreitet durch ihre ruhige Art eine angenehme Stimmung.

Gegenüber am Tisch sitzen drei italienische Jungs, Anfang zwanzig. Sie tragen allesamt Ringelpullis und die wuscheligen Frisuren derer, die sich um den männlichen Haarausfall noch nicht scheren müssen. Ein älterer Mann mit Hut und Ledertasche studiert die Zeitung, zwei Frauen unterhalten sich. Ob man bunt oder kariert ins Ringo kommt, scheint egal zu sein, die Gäste widmen sich auf erfrischende Art und Weise sich selbst oder ihrem Gegenüber.

Man hält mit dem Nachbarn einen Plausch, trinkt einen guten Latte macchiato und isst ein Stück vom locker gebackenen Möhrenkuchen. Das Ringo ist auch einer der wenigen Orte in Neukölln, an dem das Prosecco-Trinken am Nachmittag Spaß macht und nicht nach Verzweiflungstat aussieht. Bagels zum Frühstück gibt es in drei Variationen und solange die Bedienung Lust hat, sie zuzubereiten.

Fazit: Wer solche Läden in der Nachbarschaft hat, braucht gar nicht auf hässliche Worthybriden zurückzugreifen, sondern kann entspannt sagen: Ich wohne in Neukölln.

RINGO, Sanderstr. 2, 12047 Berlin-Neukölln, (0 30) 61 50 79 98, U-Bahn Schönleinstraße, Mo.–Sa. ab 9 Uhr, So. ab 11 Uhr, Cola € 1,80, Bier € 2, Latte macchiato € 2,20, Prosecco € 2, Kuchen € 2, Bagel ab € 2,50