der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR
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… kennt nur eine Frau, seine Mutter. Sie ist seine erste Frau und bleibt seine einzige. Nie würde er sie betrügen, und jeder Sonntagmorgen gehört ihr, komme, was da wolle, und war die Nacht davor auch noch so lang. Dann nämlich telefoniert er mit ihr, bespricht mit ihr den Speiseplan für die ganze Woche, erzählt von seinen letzten Einkäufen und berichtet hin und wieder, dass er da wieder jemanden kennen gelernt habe, vielleicht ist es ja diesmal der Richtige.

Christian besuchte seine Mutter an jedem Sonntagnachmittag zum Kaffee, schließlich wohnten sie in der gleichen Stadt. Nur zweimal musste er die Verabredung sausen lassen. Das eine Mal war er verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem man ihn in der Nacht zuvor gefunden hatte an einem dunklen Ort. Ein Überfall, nicht weiter schlimm. Und das andere Mal hatte Christian mit drei Kolleginnen einen Wochenendausflug gemacht, nach Rügen, im Sonnenschein. Danach hatte seine Mutter ihn gefragt, ob sie denn nett seien seine Kolleginnen, und hatte ihm schelmisch zugezwinkert dabei. Christian war ein bisschen rot geworden, aber sagte nichts.

Nie hatte er seiner Mutter etwas gesagt: Dass er eigentlich die Männer liebt und keine Frau ihm etwas bedeutet. Zum ersten Mal hatte Christian Sex mit einem Mann, da war er 48 Jahre alt, sieben Monate zuvor war seine Mutter gestorben, und er war nach Amsterdam gefahren, damit es endlich passiert. Christian ist jetzt 53 Jahre alt, „zu spät!“, sagt er schulterzuckend, „um sich noch einmal zu binden.“ Am Sonntagnachmittag geht er jetzt immer auf den Friedhof.

Ganz anders Holger. Der könnte Pferde stehlen mit seiner Mutter, sagt er immer und schleppt sie mit auf jede CSD-Parade und in jedes Georgette-Dee-Konzert. Die Mutter liebt das, und am angeregtesten plaudert sie über ihren schwulen Sohn. Dass er ein guter Junge sei und überhaupt keine Probleme habe mit seiner Homosexualität und wie jugendlich er doch noch aussehe, trotz seiner 41 Jahre. Schwule Männer seien überhaupt klasse, so häuslich und doch so weltmännisch elegant. Sie hat noch zwei weitere Söhne, verheiratet beide, aber Holger ist ihr am liebsten, den kann ihr keine nehmen.

Die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem homosexuellen Sohn sei etwas ganz Besonderes, sagt man. Die Erste sei sie, die davon erführe, dass ihr Sohn anders ist als die anderen. Und viel eher bereit als alle anderen, das zu verstehen und zu verzeihen. Natürlich versteht sie gar nichts davon und fragt sich insgeheim ihr ganzes Leben lang, welche Fehler sie wohl gemacht hat in ihrer Erziehung. Wer sonst sollte Schuld haben am Schicksal ihres Sohnes? Und dass er ihr keine Enkelkinder nach Hause bringt, das verzeiht sie ihm sowieso nie. Aber auch darüber kein Wort zu irgendjemandem.

Mütter und ihre schwulen Söhne – beide Seiten können davon nur profitieren. Er lernt bei ihr, wie man Frauen zu Komplizinnen macht bei jeglicher Seelenpein. Und sie ist der Konkurrenz enthoben und muss nicht antreten gegen eine andere Frau. Letztens, hat Christian erzählt, habe er am Grabe seiner Mutter ihr von seinem ersten Analverkehr berichtet: „Es war mir ein Heidenspaß, das zu erzählen.“