Die Verhältnisse zum Tanzen bringen

TOURNEE Heinz Ratz ist nicht nur Aktivist, er ist auch Musiker. Auf einem fragilen Floß mit Asylbewerbern und einer Band macht er aber auch seine Tour zu einer politischen Aktion gegen die Ungerechtigkeit

Man kann das ja leicht mal vergessen. Dass Heinz Ratz nicht nur Aktivist ist, Kämpfer für Flüchtlinge und gegen die Ungerechtigkeit. Dass er doch in erster Linie erst einmal ein Musiker ist, der Lieder schreibt, CDs herausbringt und auf Tournee geht.

Ganz so leicht lässt einen der in Kiel lebende Ratz das aber nicht vergessen. Denn die Lieder, die er schreibt, sind eigentlich immer politisch. Auch „Anticool“, das neue Album seines Projekts Strom und Wasser, ist mal wieder eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme. Und natürlich ist auch die aktuelle Tour nicht bloß eine Tour, sondern eine wochenlange Demonstration.

Ratz ist schon, bevor er auf Bühnen kletterte, mit Unterstützung des B.U.N.D. kilometerweit durch Flüsse geschwommen, er ist für Flüchtlinge durchs ganze Land geradelt. Vor zwei Jahren verstärkte Ratz seine Band mit Musikern aus Flüchtlingsheimen und ging mit Strom und Wasser feat. The Refugees auf Tour durch die Konzerthallen der Republik.

Nun geht er noch einen Schritt weiter: Nicht nur die Musik hat eine politische Aussage, die Form der Tour wird bereits zur politischen Aktion. Ratz, seine Band und die Asylbewerber sind auf zwei Flößen unterwegs. Wenn die fragilen Wasserfahrzeuge auf Ausflugsdampfer, Schubverbände und Motoryachten treffen, entsteht auf deutschen Kanälen nun täglich ein symbolisches Abbild des Dramas, das sich tagtäglich vor Lampedusa und anderswo am Rand der Festung Europa abspielt. Nachmittags gibt es dann ein Kinderprogramm in einem Flüchtlingsheim und abends ein Konzert, bei denen Strom und Wasser diesmal ausschließlich von musizierenden Flüchtlingsfrauen unterstützt werden.

In den mehr als 150 Lagern, die er besucht hat, sagt Ratz, habe er festgestellt, dass es meistens die Frauen sind, die mit ihren Kindern das größte Elend in den hiesigen Heimen zu erleiden haben, aber sich trotzdem scheuen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das will er ändern.

Auf dem Album „Anticool“ taucht allerdings auch der Mensch Heinz Ratz auf, der in den vergangenen Jahren oft hinter dem Aktivisten verschwunden war. Nun singt er nicht mehr nur über das Drama der weltweiten Wasserknappheit, sondern auch über das Drama des ganz gewöhnlichen Beziehungsalltags, nicht nur über „Politvampire“, sondern auch vom „Irrgarten der Liebe“ oder über „Innere Dämonen“. Aber auch das tut er in einer drastischen, dadurch aber bisweilen nicht allzu poetischen Sprache. Und über Musik, die zwar sehr versiert jede Liedermacheranmutung mit Jazz-, Funk- und Weltmusik-Elementen ausräumt, bisweilen aber ein wenig zu aufgeräumt hüpft, als wollte sie andauernd und um jeden Preis die Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Das vielleicht beste Lied auf „Anticool“ ist eines, in dem Ratz seine eigene Rolle hinterfragt. Sehr einleuchtend, ziemlich witzig und offensichtlich auf eigenen Erfahrungen fußend beschreibt der 45-Jährige, wie er von der linken Szene zum „Wunschliedfabrikanten“ degradiert wird. Er solle doch mal was übers Grundeinkommen schreiben, fordert einer, der nächste vermisst die Windenergie und eine andere das Thema Bulimie. „Leck mich“, antwortet Ratz auf diese Forderungen, aber lösen kann er damit sein grundsätzliches Dilemma nicht: dass in der Öffentlichkeit seine Kunst weit weniger wahrgenommen wird als sein Engagement. Das wird vorerst so bleiben, selbst wenn die „Floßtour“ auch musikalisch ein ungemein spannendes Projekt ist. THOMAS WINKLER

■ Die Sommer-Floßtour macht Station am 26. 8. im Waschhaus Potsdam und am 27. 8. im SO36