DAVID BOWIE, DER UNERBITTLICHE MENSCHENSCHLAG VON KREUZBERG UND DIE KAPUTTEN TYPEN VON SCHÖNEBERG
: Die Wärme hatte jedes Verhalten gelockert

VON ULRICH GUTMAIR

Auch wenn Anfassen meist verboten ist, sind Ausstellungen Orte, an denen einem Dinge noch nahekommen können. Das Erste, was man bei „David Bowie“ sieht, ist ein Kleidungsstück, das meine Tochter als „Rockhose“ identifiziert. Yamamoto hat das Teil mit halbkreisförmigen, schwarz-weiß gestreiften Hosenbeinen ausgestattet. Das Material ist etwas porös. Man sieht, dass David Bowie ein schmächtiger Mann ist.

Dann aber zeigt sich, dass „David Bowie“ sehr bowiesk ist: Nie kommt man dem Mann wirklich nahe, auch wenn man seine Stimme ständig im Ohr hat. Sennheiser stellt in dieser Ausstellung ein neues System vor, das den Besucher ständig mit Sound bespielt, während er durch den Parcours wie durch einen Tunnel aus Fotos, Postern, Filmen, Licht und Sound wandert. Dann stehen wir dicht gedrängt vor dem Filmclip zu „Space Oddity“, wir hören gemeinsam den Song und wir sehen die Bilder dazu. Wenn britische Inszenierungs- und deutsche Ingenieurskunst zusammenkommen, gibt’s das totale Erlebnis. Aber jede ist allein in ihrer Sennheiser-Blase. Ich fühle mich wie Major Tom.

David Bowie erzählt mir über die vielen Suizide um ihn herum, als er jung war. Dass er schreiben wollte, nicht singen. Dass Leute mit Zigaretten auf ihn warfen, als er das erste Mal auftrat. Aber es klingt so, als würde jemand eine ausgedachte Geschichte erzählen. Es gibt keine Brüche in der Story von „David Bowie“. Selbst die dunklen Berlinjahre, wenn es denn Jahre gewesen sind, nicht nur ein paar Monate, erscheinen als Moment der Sammlung und Neuerfindung.

Dunkle Augenringe hat er

Das Foto von Bowie in der Victoria Station von 1976, auf dem man ihn angeblich den Hitlergruß machen sieht, wird nicht gezeigt. Die Geschichte von Bowies Faszination für die Popästhetik der Nazis wird nicht erzählt. Man hört, dass die kuratierende PR-Agentur aus München sogar dazu überredet werden musste, sich den Berliner Jahren von Bowie überhaupt ausführlicher zu widmen.

Während Bowie sich auf den Fotos der späten Siebziger selbst inszeniert, ist sein Kumpel Iggy echt kaputt. Dunkle Augenringe hat er und sehr dünn ist er, als er mit Esther Friedman auf der Hauptstraße steht. Das erinnert mich daran, dass mir eine Kollegin erzählte, wie Iggy ihr bei einem Konzert einen Zettel zustecken ließ, dass er sie treffen wolle, und wie sie den Zettel sehr viele Jahre später in ihrer Bomberjacke wiederfand, wo sie ihn noch immer aufbewahrt. Aber hat sie den Iggy denn nun getroffen? Natürlich. Hätte ich auch gemacht.

Abends treffe ich Marie-Luise Scherer beim Zigarettenrauchen auf einem Balkon. Sie mag das Internet nicht, sagt sie. Die vom Netz hergestellte Transparenz ist ihr unheimlich, alle könnten plötzlich alles lesen. Sie erzählt von ihren neugierigen Nachbarn im Wendland und von der Kreuzberg-Geschichte, die sie 1987 schrieb. Es macht Freude, ihr zuzuhören, und als ich nachts nach Hause komme, rufe ich im Netz „Der unheimliche Ort Berlin“ auf, erschienen im Spiegel vom 18. Mai 1987.

Die Geschichte, die vom Tod eines Mädchens aus der Provinz handelt, beginnt so: „Das Kottbusser Tor ist kein Ort, an dem die Leute in Übergangsmänteln herumlaufen, wenn der Winter vorbei ist. Das bißchen Sonne im April legte gleich die Oberarmtätowierungen der Punker frei. Die türkischen Männer hielten nicht mehr frierend das Jackett vor der Brust zusammen und gingen wieder aufrecht. Die Wärme hatte jedes Verhalten gelockert.“ Da kann ich noch was lernen, denke ich mir und gehe ins Bett.

David Bowie ist ein sehr guter Geschäftsmann. Iggy dagegen war ständig besoffen, er musste sich an Hauswände stützen, wenn er morgens nach Hause kam, erzählt Bernd Cailloux am nächsten Abend auf dem Sommerfest des LCB. Im Grunde habe er dauernd durchgemacht. Wenn Iggy nicht geschützt worden wäre, hätte er Berlin nicht überlebt, sagt Bernd Cailloux. Wir sind uns einig, dass uns Iggy Pop lieber ist als David Bowie.

Sonntags lese ich den Artikel von Marie-Luise Scherer zu Ende, der als Geschichte über den nie aufgeklärten Tod einer jungen Frau in der Waldemarstraße beginnt, aber bald zu einem Porträt Kreuzbergs wird, wo der alternative Menschenschlag seine „unerbittliche Vollendung“ gefunden hat: „In seiner Hochform leidet der Nichtnormale auch an sich selbst. Denn als Platzhalter der Idee vom selbstbestimmten Leben muss er ständig für eine Verlockung stehen, die auch ihm manchmal verlorengeht. Deshalb muß er sich zur Selbsterhaltung in die Verachtung anderer retten. So verbraucht sich der Nichtnormale zu großen Teilen in einer Energie der Ablehnung.“

Am Montagmorgen auf dem Weg zur Schule frage ich meine Tochter, wie sie über „David Bowie“ denkt. Am besten haben mir die Kleider gefallen, sagt sie.