Paris spart sich keine Regierungskrise

FRANKREICH Wirtschaftsminister Montebourg provoziert mit Forderung nach Ende des Sparkurses seine Entlassung

Derzeit sind knapp 11 Prozent aller Franzosen ohne Job. Das Wirtschaftswachstum liegt bei null

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Mit scharfer Kritik am politischen und wirtschaftlichen Kurs seiner Regierung und an dem seiner Meinung nach verheerenden Druck aus Berlin hat der bisherige französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg eine Regierungskrise ausgelöst. Der französische Staatspräsident François Hollande zog am Montag die Konsequenz und forderte seinen Premierminister Manuel Valls auf, bis zum Dienstag ein neues Kabinett zu bilden.

Noch ist nicht bekannt, ob es sich dabei nur darum handelt, den Kritiker Montebourg zu entlassen oder ob Hollande gleichzeitig eine umfassendere Umbildung plant. Neben dem Wirtschaftsminister könnte auch der bisherige Erziehungsminister Benoît Hamon, ein Sprecher des linken Parteiflügels, der sich am Sonntag mit Montebourg solidarisiert hatte, sein Portefeuille verlieren. Die Regierung war erst nach der Niederlage der Sozialisten bei den Kommunalwahlen Ende März gebildet worden.

Der französische Staatschef ist seither immer mehr in Bedrängnis geraten, weil Resultate des Kampfs gegen die Arbeitslosigkeit ausblieben. Derzeit sind knapp 11 Prozent aller Franzosen ohne Job. Das Wirtschaftswachstum liegt bei null. Gleichzeitig übersteigt das Staatsdefizit mit 4 Prozent für 2014 deutlich die europäischen Kriterien. Laut einer jüngsten Umfrage haben nur noch 17 Prozent der Befragten eine positive Meinung über Hollande.

Montebourgs ungewöhnlich scharfe Kritik in der Wochenendausgabe von Le Monde wirkte in diesem Kontext wie ein Dolchstoß. In dem Interview verwarf der bisherige Wirtschaftsminister die gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik, für die er selbst zuständig war. Das war für ihn offenbar eine Frage der eigenen Glaubwürdigkeit. Als Minister aber war er damit politisch untragbar geworden. Noch bevor Hollande ihm den Auftrag einer Regierungsumbildung erteilte, hatte Valls seinem Wirtschaftsminister bereits mitgeteilt, dass dieser die Grenze des Tolerierbaren überschritten habe.

Mit der Regierungsumbildung verschießt Hollande nach Ansicht der Medien seine letzte Patrone. Le Monde meint, mit diesem Schritt könne der umstrittene Präsident kurzfristig seine Autorität stärken, doch die eigentlichen ökonomischen und sozialen Probleme, aber auch die Meinungsdifferenzen in seiner Partei würden weiterbestehen.

Der auf Druck Deutschlands von Hollande beschlossene Sparkurs verhindere das Wirtschaftswachstum und damit einen wirksamen Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit in Frankreich, sagte Montebourg. Diese Sparpolitik sei eine „finanzpolitische Absurdität“, die die Europäer letztlich in Arme von Populisten (wie Front National) treibe, deren Ziel die Zerstörung der EU sei. Zugleich werde durch die Sparzwänge die Legitimität von Wahlen untergraben: „Selbst wenn die Franzosen für die französische Linke votieren, wählen sie also das Programm der deutschen Rechten! Das ist inakzeptabel.“ Mit der von der EU unter Angela Merkels Führung eingeschlagenen Wirtschaftspolitik drohe Europa eine Deflation und darüber hinaus eine der schwersten „industriellen Katastrophen der neueren Geschichte“.

Mit dieser Diagnose steht Montebourg nicht allein. Kurz nach der Ankündigung der Regierungsumbildung hat sich der linke Flügel der Sozialisten mit den „Dissidenten“ Montebourg, Hamon und Taubira solidarisiert. In einem Buch hat auch die frühere Parteichefin der französischen Grünen, Exministerin Cécile Duflot, Hollande bezichtigt, sein ursprüngliches Wahlprogramm und damit die Ziele der rot-grünen Koalition verraten zu haben. Es ist aber vor allem die Politik der Defizitverminderung und der Kostensenkung für die Unternehmen, die das linke Regierungslager spaltet. Die bürgerliche Opposition bezweifelt deswegen, ob die neue Regierung von Valls im Parlament überhaupt noch über eine ausreichende Mehrheit verfügt. Front-National-Chefin Marine Le Pen sah Hollande am Montag bereits am Ende und fordert sofortige Neuwahlen.

Montebourg hat sich auf einer Pressekonferenz bemüht, sein Vorgehen als konstruktiv zu rechtfertigen und sein absehbare Entlassung als ungerechte Sanktion darzustellen. Es wird vermutet, dass er bereits eine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen von 2017 im Auge hat.