BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Deine Mutter in der Disco

Unentwegt werde ich in den Medien getröstet: Ich solle nicht traurig sein, weil ich nicht mehr jung sei. Bin ich gar nicht

Heute stirbt Senta an Altersschwäche. Bei einem Flugzeugabsturz. Die Führungskräfte der RTL-Dauersoap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ finden, dass die 38-jährige Hanne Wolharn für die Rolle der Mutter einer erwachsenen Tochter inzwischen zu alt ist. Wenn man Drehbuchautoren nicht darauf verpflichten will, demnächst das Alter von 14 als Grenze der Gebärfähigkeit festzulegen, dann bleibt bei diesem Konzept eigentlich nur die Abschaffung der Mutter als solcher. Aber vielleicht könnte man ja Mütter künftig beim 18. Geburtstag ihrer Kinder rituell auf dem Scheiterhaufen verbrennen – erst im Fernsehen, dann im wahren Leben. Warum eigentlich nicht? Bei den indischen Witwen hat sich das doch auch lange bewährt.

Bei der Kosmetikfirma „Dove“ setzt man auf eine andere Strategie. Dort findet man ältere Frauen, denen man bestimmte Produkte verkaufen will, ganz wahnsinnig toll. Alter ist überhaupt ganz wahnsinnig toll und Erotik im Alter besonders. Deshalb sehe ich jetzt im Kino und auf riesigen Plakaten am Straßenrand dauernd attraktive Frauen um die 60, die sich eine Figur bewahrt haben, die ich nicht einmal als 16-Jährige hatte. Und die den Beweis für die Behauptung von Dove antreten sollen: „Schönheit kennt kein Alter.“

Im übertragenen Sinne mag das stimmen. Innere Werte sind schließlich etwas sehr, sehr Schönes. Im herkömmlichen Sinne – also bezogen auf die Frage: wie locke ich das Männchen/Weibchen an? – ist es Quatsch. Den Models von „Dove“ sieht man an, dass sie mit 20 und auch mit 39 allenfalls die Qual der Wahl zwischen den schönsten Männern ihrer Umgebung hatten. Und diese Wahlmöglichkeiten sollen im Lauf der letzten 20 Jahre nicht kleiner geworden sein? Ach, Leute.

Welche Komplimente für unsere Mütter haben wir selbst uns als junge Frauen und Mädchen immer gewünscht? „Deine Mutter in der Disco – wow, die könnte man glatt für deine jüngere Schwester halten.“ Aber ja doch. Genau das wollten wir über unsere Mütter immer hören. Und genau das wünschen sich unsere Töchter. Oder etwa nicht?

Sie freue sich eigentlich sehr auf ihre Geburtstagsfeier, erzählt eine Freundin, die in zwei Wochen 50 Jahre alt wird. Wenn die Gäste ihre Zusagen nur nicht so häufig mit einfühlsamen, mitleidigen Sätzen verbinden würden. Ich weiß, was sie meint. Ich habe meinen 50. Geburtstag vor einigen Monaten gefeiert. Groß und rauschend. Nicht um böse Geister zu bannen, sondern weil ich mich feiern lassen wollte.

Ich hatte und habe das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Zum Beispiel: Was mir immer jetzt noch zustößt – mein Leben lässt sich nicht mehr insgesamt als tragisches Scheitern beschreiben. Nie mehr. Dafür habe ich zu viel gemacht, was die Menschen meiner Umgebung und ich selbst als Leistung betrachten. Kürzlich fand ich das öde Sex-Symbol George Clooney zum ersten Mal interessant. Da sagte er nämlich, wenn er morgen stürbe, dann könne er auf ein gutes Leben zurückblicken. Ich glaube zu verstehen, was er meint.

Lebenserfahrung kennt kein Alter? Erfahrung kennt kein Alter? Ich huste euch was.

Es gibt einfach ein paar Dinge, in denen ich heute besser bin als damals mit 20. Und auch besser als diejenigen, die heute 20 sind. Darauf bin ich stolz. Und kann deshalb übrigens gelegentlich 20-Jährigen behilflich sein. Auch darauf bin ich stolz.

Das Einzige, was mein erfreuliches Lebensgefühl trübt, ist die Tatsache, dass ich in den Medien unentwegt getröstet werde. Ich solle nicht traurig sein, weil ich nicht mehr jung sei. Bin ich gar nicht. Man müsse mir mein Alter gar nicht anmerken. Soll man aber. Immerhin: Niemand ist mitfühlend, weil ich nicht mehr zur werberelevanten Zielgruppe des Fernsehens gehöre. Aus guten Gründen. Da bedürfen schließlich eher die Werber der Aufmunterung.

Viele Leute meiner Generation haben mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ziemlich viel Geld, das sie für nettere Dinge ausgeben können als für Treppenlifte. Ob es wirklich so klug ist, Senta sterben zu lassen?

Fragen zum Alter? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reicherts LANDMÄNNER