Alle werben um die Armen

VOR DEN WAHLEN IN PERU Was ihre Programme und Losungen betrifft, unterscheiden sich die sechs Präsidentschaftskandidaten nicht besonders. Umso aggressiver greifen sie sich auf persönlicher Ebene an

Ab heute, Freitag, 15 Uhr peruanischer Zeit, wird bis zur Wahl kein Alkohol mehr ausgeschenkt

VON EVA-CHRISTINA MEIER

Anlässlich der bevorstehenden Wahlen in Peru wurde am Sonntagabend die letzte öffentliche Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten live aus dem Sheraton-Hotel in Lima übertragen. Bereits nachmittags wurde das von mehrspurigen Straßen umgebene Luxushotel großräumig abgesperrt. Wenige Häuserblöcke davon entfernt, sozial aber bereits in einer etwas nüchternen Realität, bat mich ein Streifenpolizist höflich umzudrehen.

Am 10. April nun werden 30 Millionen Peruaner die Wahl zwischen sechs Präsidentschaftskandidaten haben. Deren politische Losungen klingen verblüffend ähnlich: „Perú posible“, „Fuerza 2011“, „Gana Peru“, „Solidaridad Nacional“, und „Alianza por el gran cambio“. „Mögliches Peru“, „Kraft 2011“, Peru gewinnt“, „Nationale Solidarität“ und „Allianz für den Wechsel“. Für das Amt des Präsidenten treten an: Expräsident Alejandro Toledo, Keiko Fujimori, Tochter des derzeit inhaftierten Alberto Fujimori, Exoffizier Ollanta Humala, der ehemalige Bürgermeister Limas Luis Castañeda und der frühere Wirtschaftsminister und Cousin des französischen Filmemachers Jean-Luc Godard – Pedro Pablo Kuczynski, kurz PPK.

Wählen zu gehen ist in Peru obligatorisch, und so erstaunte es nicht, wie sehr sich die Kandidaten während dieser letzten öffentlichen Debatte bemühten, ihr Engagement für die Interessen der Armen im Land – immerhin 30 Prozent der Bevölkerung – zum Ausdruck zu bringen. Die Kriminalität und die Armut zu bekämpfen, die Trinkwasserversorgung und die Kanalisation auszubauen, das Bildungs- und Rentensystem zu verbessern, den Mindestlohn anzuheben – das versprechen sie alle.

Goldenes Kreuz

Angesichts der vielen inhaltlichen Überschneidungen spielen in diesem Wahlkampf Symbole und persönliche Angriffe eine um so größere Rolle. So teilte insbesondere Toledo während des Fernsehduells im Sheraton-Hotel in alle Richtungen polemisch aus. Seinen Konkurrenten Kuczynski, der erst im laufenden Wahlkampf seine US-Staatsbürgerschaft zurückgegeben hat, sprach er hartnäckig als „Mister Kuczynski“ an. Dessen Vater, Dr. Max Hans Kuczynski, war als Tropenmediziner 1936 vor den Nazis aus Berlin nach Peru geflohen. Keiko Fujimori trug an diesem Abend ein deutlich sichtbares goldenes Kreuz um den Hals, vielleicht um erst gar keinen Zweifel an ihrer kulturellen Zugehörigkeit aufkommen zu lassen. Ihre politischen Gegner sind sich indes sicher, dass im Falle ihres Wahlsieges eine ihrer ersten Amtshandlungen die Aufhebung der Haftstrafe von Vater Fujimori wäre. Der ehemalige Präsident Fujimori verbüßt wegen Korruption und Anordnung von Morden im Amt eine 2009 ausgesprochene 25-jährige Gefängnisstrafe. Seiner Tochter Keiko Fujimori, die mit ihrer Kandidatur für die Kontinuität der väterlichen Politik antritt, werden derzeit 20 Prozent der Stimmen zugetraut.

Eine Besonderheit der bevorstehenden Wahl ist, dass es eigentlich keinen Kandidaten der Linken gibt. Juan Javier Salazar, einer der interessantesten zeitgenössischen Künstler Perus und provokanter Bohemien, erinnert im Gespräch daran, dass dies einmal anders war. Noch in den achtziger Jahren stellte die Linke die Bürgermeister in Lima, Cuzco und Arequipa. Doch das Auftauchen der maoistische Guerillaorganisation Sendero Luminoso und der Bürgerkrieg haben dieses Thema bis in die Gegenwart nachhaltig erledigt. Zur bevorstehenden Wahl sagt Salazar: „Die Rechte stellt heute sechs Kandidaten und die Restlinke versammelt sich hinter einem Trottel“, womit er Ollanta Humala meint. Derzeit liegt der national-populistische Humala nach den Umfragen an erster Stelle vor Toledo und Keiko Fujimori, dicht gefolgt von Kuczynski. Die Konkurrenten Humalas versuchten ihn im Sheraton-Hotel durch Kommentare über sein freundschaftliches Verhältnis zu Hugo Chávez zu diskreditieren. Chávez, der venezolanische Präsident, hatte den peruanischen ehemaligen Militär einen „guten Soldaten“ genannt. Humala hatte angekündigt, ausländische Betriebe zu verstaatlichen.

Natürlich bot sich mir in diesen Tagen in Lima auch die Gelegenheit, mit einem Taxifahrer über den Ausgang der kommenden Wahlen zu debattieren. Auf seinem linken, aus dem Fenster gelehnten Ärmel stand die orangefarbene Wahlkampfwerbung für Keiko Fujimori. Im Gespräch stellt sich aber bald heraus, dass er seine Stimme Ollanta Humala geben wird.

Wie soll man angesichts solcher unkalkulierbarer Manöver den Ausgang dieser Wahl richtig einschätzen? Zumal sich in der Vergangenheit Perus immer bewiesen hat: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Am 5. Juni werden die beiden Gewinner der ersten Runde in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Sicher ist nur: Ab heute, Freitag, 15 Uhr peruanischer Zeit, wird bis zur Wahl kein Alkohol mehr ausgeschenkt.