NESTELNDER WIDERSTAND
: Fotoshooting

Schade, dass ich keinen Hund besitze, bemitleide ich mich

Aus der Ferne halte ich es für einen Filmdreh. Beim Näherkommen reduziert sich das Set zu einem schwarzen Audi, einem Reflexionsschirm, zwei Stativen, Licht, einer Kamera und dem dazugehörigen Fotografen. 40 Jahre, schwarzes Hemd, Jeans. Keine Schauspieler weit und breit. Trotzdem, er möchte nicht gestört werden. Es genügt, dass ich meinen Schritt verlangsame, schon verliert er die Contenance. „Weg da! Weg da! Nicht glotzen!“

Dabei fotografiert er nur die Einfahrt zur Tiefgarage eines gerade neu bezogenen Eigentumswohnungskomplexes, von denen bei mir gerade an jeder Ecke zwei Exemplare entstehen. Vermutlich für die Homepage des Bauherrn, mit denen dieser die Planerfüllung dokumentiert und Kunden für noch zu errichtende Objekte wirbt. Warum darf ich nicht aufs Bild? Bin ich zu klein, zu alt oder zu hässlich? Sehe ich aus wie ein Verdrängungsopfer? Wirke ich wie jemand, der sich keine Eigentumswohnung leisten kann? Oder gar wie ein militanter Gentrifizierungsgegner?

Und warum lasse ich mich so einfach wegscheuchen? Es sind diese Fragen, die das Platzhirschgebaren des Fotografen in mir auslöst. Aufgewühlter als sonst kaufe ich in meiner Lieblingsbäckerei meine morgendlichen Brötchen. Schade, dass ich keinen Hund besitze, bemitleide ich mich, als ich mich wieder auf den Rückweg mache. Dann könnte ich ihn vor seinem Objektiv gegen die Tiefgarageneinfahrt pinkeln lassen und sein Wohlstandsparadies beflecken. Und dann die Stelle fotografieren. Selber urinieren traue ich mich nicht. Aber ich knie mich nieder und schnüre mir meine Schuhe zu, als ich wieder am Ort des Geschehens bin. Lasse mir Zeit. Es dauert, mein orthopädisches Schuhwerk hat eine Menge Ösen. Keine große Tat, aber besser als gar nichts. Er protestiert, lautstark. Soll er. Die Gentrifizierung muss warten. Eine ganze Minute.

STEPHAN SERIN