AMERICAN PIE
: Die Großen Drei, Vol. 2

NBA Mit dem Wechsel von Kevin Love hat es LeBron James geschafft, in Cleveland ein neues Dreamteam zu versammeln

Man stelle sich ungefähr dieses Szenario vor: Cristiano Ronaldo beschließt urplötzlich an Heimweh zu erkranken, verlässt Real Madrid und geht zurück zu Sporting Lissabon. Weil sie gerne mit dem weltbesten Fußballer zusammenspielen wollen, wechseln Mats Hummels und Manuel Neuer ebenfalls nach Portugal. Alle Beteiligten verzichten auf ein paar Millionen Gehalt, aber aus Sporting, das noch nie die höchste europäische Trophäe gewonnen hat, wird quasi über Nacht der große Favorit auf den Gewinn der Champions League.

Nicht ganz wahrscheinlich? Unrealistisch? Irre? Na ja, im Basketball ist ziemlich genau das gerade passiert. Zuerst hat LeBron James beschlossen, Miami den Rücken zu kehren und bei den Cleveland Cavaliers anzuheuern. Dann folgten ihm mit Mike Miller und James Jones bereits zwei langjährige Teamkollegen ins vergleichsweise wenig glamouröse Ohio. Auch Shawn Marion ging nach Cleveland, um dem einen Titel, den er vor drei Jahren an der Seite von Dirk Nowitzki in Dallas gewonnen hatte, einen weiteren hinzuzufügen.

Doch das waren alles nur Verpflichtungen von Ergänzungsspielern. Der Königstransfer wurde am vergangenen Wochenende abgewickelt. Nach monatelangen Verhandlungen, Vermutungen und Gerüchten fand ein kompliziertes Wechselspiel statt, in das insgesamt sechs Profis und drei NBA-Klubs involviert waren. Am Ende aber war endlich klar, dass die neue Mannschaft des aktuell wohl weltbesten Basketballspielers auch noch von Kevin Love verstärkt wird, den die meisten Experten immerhin für den besten Basketballspieler auf seiner Position des Power Forward halten.

Love, der bislang in der Provinz in Minnesota versauerte und in sechs Jahren mit den Timbervolves kein einziges Mal überhaupt die Playoff-Runde erreichen konnte, ist vielleicht kein ganz so guter Distanzschütze wie Dirk Nowitzki oder beim Punkten unter dem Brett nicht so einfallsreich wie Tim Duncan, die beide dieselbe Position spielen. Aber der 25-jährige Kalifornier ist das Komplettpaket: Er kann werfen, nah am Korb punkten und ist ein hervorragender Rebounder. Kein Wunder, dass Love von seinem neuen Mitspieler per Instagram-Fotomontage begrüßt wurde in der neuen Heimat, die der zum Pathos neigende James nur noch „The Land“ nennt – wie in „gelobtes Land“.

All das weist seltsame Parallelen auf zum Jahr 2010, als James nach Miami wechselte und dort mit Dwayne Wade und Chris Bosh eine dreiköpfige Allstar-Combo bildete, die zum Siegen verdammt war, prompt viermal in Folge die NBA-Finals erreichte und zwei Titel gewann. Der dritte im Bunde heißt in diesem Falle Kyrie Irving, ist erst 22 Jahre alt, hat vergangene Saison überragend für die Cavaliers gespielt und wurde beim Allstar-Game im vergangenen Februar zum Mann des Spiels gekürt.

Droht nun eine ähnliche Dominanz durch Cleveland, wie sie Miami Heat in den vergangenen vier Jahren besaß? Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Denn tatsächlich passen die neuen „Big Three“ der Cavaliers sogar noch sehr viel besser zusammen als die originalen „Großen Drei“ der Heat. In Miami standen sich vor allem James und Wade eher auf den Füßen herum, als dass sie zusammenspielten. Weil die beiden Superstars zwar gut befreundet waren, ihre Spielweise aber zu ähnlich war, kam die Offensive der Heat – vor allem in der sensationell verlorenen Endspielserie gegen Nowitzkis Mavericks – mitunter zum Erliegen.

Das dürfte nun völlig anders werden. Vor allem James und Love dürften sich spielerisch ganz vorzüglich ergänzen und ungeahnte Freiräume für den jeweils anderen schaffen. Und plötzlich wird aus dem Aschenputtel der Liga, den Cavaliers, die in 44 Jahren NBA noch nie den Titel gewinnen konnten, ein Meisterschaftsfavorit. THOMAS WINKLER