Weniger Staat, mehr Kommune

Schule soll Angelegenheit der Kommunen werden: Niedersachsens Städte schlagen vor, die Hoheit über die Grundschulen zu übernehmen, um sie besser mit den Kitas zu verzahnen. Die Kinder sollen vom Wettbewerb der Kommunen profitieren

AUS CELLE KAI SCHÖNEBERG

Ulrich Mädge stört die Gängelei von oben sowieso: „Der Staat muss nicht regeln, wie hoch wir die Kleiderhaken in den Kitas hängen dürfen“, sagt der SPD-Bürgermeister von Lüneburg. „So klug sind wir selbst, dass wir die nicht an der Decke anbringen.“ Gestern machte er zusammen mit seinen Kollegen vom Niedersächsischen Städtetag einen viel weitreichenderen Vorschlag: Nur drei von 131 Mitgliedsgemeinden lehnten auf ihrer Tagung in Celle die Idee ab, dass die Kommunen künftig die Grundschulen komplett vom Land übernehmen sollten, um sie stärker mit den Kindergärten zu verzahnen. Bislang sind die Städte nur für die Grundschul-Bauten zuständig.

Der Vorschlag, den erstmals ein kommunales Gremium in Deutschland vortrug, werde „Furore“ machen, sagt Martin Biermann, Städtetagspräsident und hauptamtlich CDU-Bürgermeister in Celle. In ihren 45 „Celler Thesen“ (siehe Kasten) forderten die Kommunalos zudem einen völlig kostenlosen Kita-Besuch und einen Beginn der Grundschule bereits im fünften Lebensjahr – was die gesamte Ausbildungszeit und so auch die Kosten sinken lassen würde. Ihr Ziel: Mehr Wettbewerb soll zu mehr Qualität für Kinder führen.

Bei Besuchen im Pisa-Siegerland Finnland, wo die Städte für die Grundschulen zuständig sind, kam Biermann ins Grübeln: „Jedes Kind in der ersten Klasse kann dort Kugel von Quader oder Würfel unterscheiden, weil es das im Kindergarten bereits gelernt hat.“ Die Städte wollen, wenn aus den Landes- Kommunalbedienstete geworden sind, auch für Erzieher einen Hochschul-Abschluss zur Pflicht machen – wie in Finnland. „Wir brauchen wissenschaftliches Personal in den Kindergärten“, sagte Mädge, der auch Vize-Präsident des Städtetags ist. In den Kindergärten und Kitas müsse mehr gelernt und weniger betreut werden. „Die Festplatte des Lebens ist mit sechs Jahren abgeschlossen. Größer wird sie später nicht mehr“, erklärte Biermann. Celle und Lüneburg würden sofort bei einem Modellversuch mitmachen, sagten die Bürgermeister.

Um sinkende Standards in finanzschwachen Kommunen zu verhindern, soll das Land nach Ansicht der Bürgermeister weiter die Bildungsstandards vorgeben, die Kommunen könnten an der Lehrkörperausstattung drehen. Vize-Präsident Mädge formulierte es so: „Ich übernehme die Grundschule, packe die mit der Kita zusammen, das Land bestimmt die Inhalte und wir machen Erziehung bis zum 4. Schuljahr aus einem Guss“. Die komplette Zuständigkeit für die Bildung der Kleinsten würde „keinen Cent mehr kosten“ als bisher, sagte Mädge. „Das heißt doch auch, dass ich eine Lehrerin in einem Kindergarten einsetzen kann, der 100 Meter entfernt ist“ Außerdem spare die kommunale Bildungsoffensive langfristig sogar, meinte Mädge: „Das Geld, das ich da investiere, brauche ich später nicht in der Jugendgerichtshilfe“.

Kritische Stimmen kamen von der Lehrergewerkschaft GEW: „Ich halte das für eine Machtfrage, das Pädagogische ist nur vorgeschoben“, sagte Landeschef Eberhard Brand. Wegen sinkender Schülerzahlen könne die Kommunalisierung dazu führen, dass Grundschulen eher dicht gemacht würden: „Ein großer Arbeitgeber wie das Land gleicht das eher aus“, sagte der Gewerkschafts-Boss. Zudem befürchtet er, dass klamme Städte bei ihren Schulen sparen könnten. „Wir spüren schon bei der Gebäudeausstattung, wie groß die Unterschiede sind.“ Große Skepsis auch bei Kultusminister Bernd Busemann (CDU). „Bildung muss staatliche Aufgabe bleiben“, sagt sein Sprecher. Es sei „Aufgabe des Landes, überall für Chancengleichheit zu sorgen“. Die Grünen begrüßten den Vorstoß. „Angesichts des demographischen Wandels ist es gut, wenn sich die Kommunen dem Bildungsauftrag stellen“, sagte die Fraktions-Vizin Ina Korter. Allerdings müsse das Land weiter die Qualitätsstandards setzen.

Städtetags-Präsident Biermann will ganz oben hingegen Sympathie für seinen Vorstoß verspürt haben: Bei Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) habe er dafür „große Offenheit erkennen können“.