aus der mensa: jammerlappen von HARALD KELLER
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Große Schatten werfen ihre Ereignisse voraus. Old Wabble, die wandelnde Problemzone, schiebt sich ächzend heran und plumpst auf die Eckbank. „Was ist da los?“, gellt er grußlos. „Wo sind die Salzstreuer?“ – „Weg“, lautet Drolls schlichte und trockene Antwort, mit der sich Wabble aber keineswegs begnügen mag. „Das weiß ich“, blafft er erregt.

„Was willst du hören?“, fragt Droll ungerührt. „Die Streuer sind weg. Vermutlich, weil die von Gebührenpflichten gebeutelten Studenten keine andere Möglichkeit sahen, ihre Aussteuer zusammenzubringen. Es wird dir doch nicht entgangen sein, dass das Salz jetzt in offenen Schälchen bereitgestellt wird.“

Wabble schnauft. „Ja, natürlich. Aber das ist doch total unhygienisch. Da steckt jeder seine ungewaschenen Finger rein. Und wer weiß, wo die vorher waren.“ – „Vielleicht da, wo nie die Sonne scheint?“ Den Damen genügt ein kurzer Blick, um den Einsatz für ein engelsgleich vorgetragenes „Iiieh“ zu verabreden.

Wabble schaufelt Hirschgulasch in sich hinein; langsam kommen seine Nerven zur Ruhe. Jetzt erst fällt ihm auf, dass Geierschnabel nach längerer Abwesenheit mal wieder in die Mensa gefunden hat, und er hält mit seiner Beobachtung nicht hinter dem Berg. Der Angesprochene erklärt, dass er von einem Hexenschuss niedergestreckt worden war. „Schonung tat not“, fasst er den Krankheitsverlauf zusammen. „Ich habe versucht, wieder zu Kräften zu kommen. Bis mir auffiel: Ich hatte noch nie welche.“

Die Damen ergreifen die Gelegenheit, die Wehleidigkeit der Männer im Allgemeinen und die ihrer Tischgenossen im Besonderen anzuprangern, bringen damit aber niemanden in Verlegenheit. „Das gebe ich gerne zu“, räumt Geierschnabel ein. „Männer sind Jammerlappen. Und ich bin der Häuptling der Jammerlappen.“

An Klumpe sind die Gespräche wie üblich gänzlich vorbeigegangen. Schwerfällig tänzelt er aus dem Traumland ins Diesseits und gibt zum Besten, was ihn gerade bewegt. Er hat nämlich gelesen, dass Fernsehen dumm macht.

„Soll sein“, reagiert Droll gelassen. „Ich weiß nicht, ob das so stimmt“, widerspricht Notthoff, und er spricht aus Erfahrung. Zum Beispiel weiß er, dass speziell die gehobene Klientel sogenannter Filmkunsttheater häufig nicht in der Lage ist, das System der Kartenvorbestellung intellektuell zu erfassen. „Oder so was kann dir auch passieren“, setzt er seine Schilderung fort. „Neulich hatte ich einen am Telefon, der wollte eine Karte für ‚M durch 13‘. Ich denke, ‚M durch 13‘, was soll das denn? Es kam dann heraus, er wollte in ‚M: I 3‘ – ‚Mission: Impossible 3‘.“

Klumpe lässt sich nicht beirren. „Das sind Ausnahmen!“, ist er überzeugt. „Sicher“, zeigt sich Notthoff gewogen. „Aber die Kinos sind jeden Abend voll von diesen Ausnahmen.“ An dieser Stelle erhebt sich Geierschnabel, die Hand im Rücken, das Gesicht schmerzverzerrt, und erklärt den frühen Aufbruch mit den Worten: „Ich muss nach Köln.“ – „?“ – „?“ – „?“ – „Ich muss mal pinköln.“

Die Reaktionen der anderen geben ihm Anlass genug, ungeachtet seiner argen Beschwerden, ziemlich eilig und hurtig von dannen zu humpeln.