„Ich krieg nicht genug davon“

Nach einem Stockschlag wird NHL-Stürmer Chris Simon 25 Spiele gesperrt – so lange wie nie zuvor ein Eishockeyspieler

Youtube hat einen neuen Renner. Die Szene, die in den letzten Tagen mehr als 500.000-mal angeklickt wurde, stammt aus dem Lokalderby in der nordamerikanischen Eishockeyliga (NHL) zwischen den New York Islanders und den New York Rangers. Chris Simon, Stürmer der Islanders, wird von Ryan Hollweg in die Bande gecheckt. Nur Sekunden später die Revanche: Mit voller Wucht haut Simon seinen Schläger an Hollwegs Unterkiefer. Hollweg fliegt zu Boden und bleibt benommen auf dem Eis liegen. Die blutende Wunde muss dreimal genäht werden.

Zwei Tage später entschuldigte sich der Stürmer. Er sehe ein, dass „solche Aktionen im Eishockey fehl am Platz sind“, sagt er und schickte sogleich eine ulkige Ausrede hinterher. Er habe durch Hollwegs Check eine Gehirnerschütterung erlitten und dadurch die Selbstkontrolle verloren. Ob ihm das jemand glaubt? Der Wiederholungstäter, der als „tough Guy“ der NHL gilt, wurde bereits sechsmal in seiner Laufbahn wegen Unsportlichkeiten gesperrt.

Die NHL ging hart mit Simon ins Gericht. Der Kanadier darf in dieser Saison das Eis nicht mehr betreten. Die Rekordsperre von 25 Spielen soll auch als Warnsignal an andere Spieler dienen, denn der „Simon-Skandal“ ist nicht der einzige Aufreger der vergangenen Spielzeiten. Auf den Tag genau drei Jahre vor dem folgenschweren Stockschlag hatte Todd Bertuzzi von den Vancouver Canucks seinem Gegenspieler per Faustschlag das Genick gebrochen. Schon damals hagelte es Kritik an der NHL – der Sport sei zu brutal.

Es entstand ein Dilemma: Sollte man die Sportart familienfreundlicher gestalten und physische Auseinandersetzung bestrafen oder den traditionellen Werten treu bleiben, um die Fans nicht zu vergraulen? Die NHL entschied sich für die zweite Variante. Nach wie vor ist Eishockey die einzige der vier großen US-Profisportarten, in der Unsportlichkeiten nicht ernsthaft bestraft werden. In zwei Dritteln aller Partien finden physische Auseinandersetzungen zwischen den Mitwirkenden statt. Solange die Spieler ihre Boxkämpfe zu zweit austragen, werden sie von Schiedsrichtern erst unterbrochen, wenn jemand zu Boden geht. Die fünfminütige Strafe schreckt keinen Streithahn ab.

Auch für viele Fans ist der Kampf ein unverzichtbarer Teil des Sports. Für manche ist die Brutalität gar der primäre Anziehungsfaktor. Etliche Youtube-Benutzer freuen sich: „Ich krieg nicht genug davon“, schreibt War3Aficionado zur Simon-Hollweg-Szene. Canuckfan97 findet, „so etwas sollte öfters geschehen“. Im Fanclub-Forum der Islanders hingegen zeigen sich die wahren Fans geknickt: „Die Aktion war kriminell. Sie hat mir das Herz gebrochen. An diesem Tag schäme ich mich, Fan der Islanders zu sein.“

Durch den Ausraster von Simon ist der Eishockey-Sport in den USA für kurze Zeit in den Fokus gerückt. Möglicherweise hat er den ein oder anderen kampfgeilen Fan dazugewonnen. Simon selbst wird die Auszeit und 80.000 Dollar, die dem Multimillionär aufgrund der Sperre durch die Finger gehen, sicherlich verkraften. Die wahren Leidtragenden sind die Fans, die sich für ihre Liebe zum Verein nun schämen müssen. MARCO WOLDT