„Ärzte brauchen Gewissheit“

PALLIATIV Mediziner müssen Sterbende behandeln dürfen, ohne dass der Staatsanwalt anklopft, fordert der Medizinethiker Ralf Jox

■ 40, war sieben Jahre lang als Arzt in der Palliativmedizin und Neurologie tätig, bevor er 2010 in die Medizinethik wechselte. Er ist Privatdozent am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hofft für sich selbst, dass er nie in eine Situation kommt, wo er um Suizidhilfe bitten muss, möchte diese Möglichkeit aber für Extremfälle gewahrt wissen.

taz: Herr Jox, Sie fordern eine gesetzlich verankerte Rechtssicherheit für Ärzte, die ihren Patienten helfen möchten, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. Warum?

Ralf Jox: Die derzeitige Rechtslage ist verworren. Es gibt zwar im Strafrecht kein ausdrückliches Verbot der Suizidhilfe, aber den Ärzten ist sie in manchen Bundesländern berufsrechtlich untersagt. Dazu kommen Bestimmungen aus dem Betäubungsmittelrecht. In der Ärzteschaft herrscht ein Tenor, der suggeriert, eigentlich sollten Ärzte keine Suizidhilfe leisten, allenfalls in extremen Ausnahmefällen, nur solle man darüber nicht reden. Das verunsichert Ärzte, und sie erhoffen sich klare Kriterien.

Was ist denn Ärzten in Deutschland schon jetzt erlaubt, ohne dass sie ihre Approbation riskieren?

Ärzte dürfen lebenserhaltende Behandlungen einstellen oder unterlassen, sofern der Patient dies wünscht, auch auf dem Wege einer Patientenverfügung. Ärzten ist es zudem erlaubt, in den letzten Lebenstagen auf Bitten des Patienten das Bewusstsein zu betäuben, damit dieser die körperlichen Symptome weniger stark erleiden muss. Und sie dürfen Schmerz- und Beruhigungsmittel auch dann geben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass als Nebenwirkung die letzte Lebensphase möglicherweise verkürzt wird. Das ist ein Graubereich.

Wieso Graubereich, wenn es doch erlaubt ist?

Wir wissen, dass die Medikamente – richtig dosiert – nicht direkt tödlich wirken. Das gilt entgegen einer weitverbreiteten Meinung auch für Morphin, das bei richtiger Dosierung nicht zum Atemstillstand führt. Wenn Ärzte diese Medikamente aber höher dosieren, um den Sterbevorgang zu beschleunigen, kann das den Straftatbestand der Tötung erfüllen.

Kann man hier überhaupt eine verlässliche Grenze ziehen?

Das ist schwierig. In der Praxis verschreiben Ärzte, die ihre Patienten und deren Angehörige gut kennen, in der letzten Lebensphase zum Teil starke Medikamente und überlassen die Packung den Betroffenen. Da geht es auch um Medikamente, die in einer hohen Dosis zum Tod führen können. Solche ärztlichen Entscheidungen sind palliativmedizinisch richtig, aber sie bauen auf Vertrauen. Und deswegen müssen Ärzte die Gewissheit haben, dass sie palliativmedizinisch behandeln dürfen, ohne dass der Staatsanwalt anklopft.

Diese Gefahr sehen Sie?

Ich sehe diese Gefahr, jedenfalls dann, wenn ein weitgreifendes Verbot der Suizidhilfe durch Ärzte Realität werden sollte, wie es – im Gegensatz zu uns – Teile der Union fordern.

Welche Konsequenzen hätte ein solches Verbot?

Zweierlei: Meine erste Befürchtung betrifft diejenigen Menschen, die bei einer unheilbaren Erkrankung in der letzten Lebensphase ihren Tod selbst herbeiführen wollen und dafür ärztliche Hilfe erbitten. Ihnen wäre durch ein Verbot nicht geholfen. Sie würden sich andere Auswege suchen, in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen oder gar auf eigene Faust versuchen, sich das Leben zu nehmen, was oft misslingt oder zu einem langen Koma führt oder Dritte traumatisiert, etwa Lokführer.

Meine andere Befürchtung betrifft diejenigen Patienten, die gar keine Sterbehilfe möchten, sondern eine bestmögliche palliativmedizinische Versorgung: Ihnen würde womöglich schlechter geholfen werden als bisher.

Wieso? Palliativmedizin will die Union ja gerade nicht verbieten.

Nein, aber faktisch könnte ein ärztliches Suizidhilfeverbot die Fortschritte in der Palliativversorgung gefährden. Dann nämlich, wenn Ärzte sich nicht mehr trauen, ihren Patienten hoch wirksame Medikamente zu verschreiben und nach Hause mitzugeben, aus Angst davor, dass dies unter einen Paragrafen des Suizidhilfeverbots fallen könnte.

INTERVIEW: HEIKE HAARHOFF