Im Rückspiegel bereits die Gegenwart

MEDIUM UND BOTSCHAFT Douglas Coupland hat ein Buch über den Medientheoretiker Marshall McLuhan geschrieben

VON DORIS AKRAP

Wer eine Biografie über eine andere Person schreibt, setzt sich immer irgendwie auch mit sich selbst auseinander. Selten jedoch liegen dabei die Karten offen. Douglas Coupland, Autor des Romans „Generation X“, hingegen erklärt in seiner Biografie über Marshall McLuhan ganz unverblümt, dass es zwischen ihm und McLuhan „bestimmte Parallelen“ gebe. Dass sich der Romanautor Coupland dazu entschlossen hat, mehr über den 1980 verstorbenen, weltweit prominentesten Medientheoretiker McLuhan zu verfassen, ist aus seiner Sicht nicht ganz unverständlich.

In die Zukunft

Beide Autoren sind nicht nur Kanadier, sondern haben Sätze geprägt, die sprichwörtlich geworden sind und die sich verselbstständigt haben. So wie Couplands „Generation X“ immer dann benutzt wird, wenn es irgendwie um eine irritierte Jugend geht, wird McLuhans Satz „Das Medium ist die Botschaft“ oder der von ihm stammende Ausdruck des „globalen Dorfs“ immer dann benutzt, wenn es irgendwie um Medien geht. Beide Autoren teilen also das Problem, dass sich ihre Bücher gut verkauften, doch eher eine Minderheit derjenigen, die sie zitieren, sie auch gelesen hat. McLuhan war nämlich, anders als man es als ahnungsloser Laie annehmen könnte, keinesfalls jemand, der die Entwicklung der Kommunikationstechnologie insgesamt begrüßte. Er sah in ihr die Ursache kommender Bürgerkriege und kultureller Apokalypsen. „Wie der Mann je als Technik-Guru wahrgenommen werden konnte, ist ein Rätsel“, bemerkt Coupland zu Recht.

Doch die pessimistischen Aussichten McLuhans hielten ihn nicht davon ab, die Entwicklung der elektronischen Technologien und ihre zentrale Rolle festzustellen, die sie nicht nur für unsere Kommunikation, sondern auch für die kulturelle und politische Entwicklung der Gesellschaften haben würde. Coupland beschreibt McLuhan als einen „Meister der Mustererkennung“. Dieser war kein Fachidiot, weder bei der Nasa noch bei IBM angestellt, als er seine Ideen entwickelte. Er war Literaturwissenschaftler und beschäftigte sich mit den Verfassern geheimer Reformationsflugschriften aus dem 16. Jahrhundert, dem Werk von James Joyce und den perspektivischen Zeichnungen der Renaissance. Ausgehend von dieser Basis habe McLuhan nach den Gemeinsamkeiten der elektronischen und der realen Welt gesucht, anstatt ihre Differenzen zu beschwören, und sei so auf seine bis heute gültigen Aussagen gekommen wie beispielsweise: „Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeuge uns“ oder „Wir betrachten die Gegenwart im Rückspiegel. Wir marschieren rückwärts in die Zukunft.“

Stamm und Demokratie

Coupland nähert sich der Person McLuhan, indem er eine Collage aus Fließtext, Wikipedia-Einträgen, computergenerierten Namensvariationen, einem wissenschaftlichen Fragebogen zur Erkennung des Autismusquotienten und anderen Netzfunden zusammenbastelt. Er beschreibt ausführlich das enge Verhältnis zwischen McLuhan und seiner Mutter, einer Sprachlehrerin und überzeugten Anhängerin der Christian Science, von der er die Liebe zur Sprache und den Glauben an eine göttliche Schöpfung übernahm, welche Rolle die körperlichen Anomalien in McLuhans Gehirn und welche Rolle Kanada spielte, wo der Pianist Glenn Gould zeitgleich neu formulierte, wie Musik entsteht, und neben McLuhan auch der heute weniger berühmte Medienwissenschaftler Harold Innis lebte, von dem McLuhan die Einsicht übernahm, dass bei der Untersuchung der Kommunikationsmittel die Form wichtiger sei als der Inhalt.

In einem E-Mail-Interview mit der taz anlässlich der deutschen Veröffentlichung von „Marshall McLuhan. Eine Biographie“ antwortete Coupland auf die Frage, ob McLuhan angesichts der Ereignisse in der arabischen Welt und der Rolle von Facebook und Twitter an der Aussage festhalten würde, dass das Medium wichtiger sei als die Botschaft: „Ich kann dem Mann keine Worte in den Mund legen, aber ich denke, was wir gerade erleben, sagt eine Menge über die tribalisierende Natur der Medien aus.“ McLuhan hatte einst behauptet, dass das Fernsehen so wie alle anderen zukünftigen Technologien in der Lage sei, den Menschen zu „retribalisieren“, ihn zurück zu seinen Wurzeln, „in die orale Stammesgesellschaft“ zu führen.

Aber widerspricht nicht die Organisierung einer Stammesgesellschaft modernen Demokratievorstellungen? „Nein“, antwortete Coupland. „Jeder war der Meinung, dass Stamm Religion bedeutet. Stamm scheint aber Demokratie zu bedeuten. Demokratie ist also der wahre Stamm.“

Wer sich anlässlich seines 100. Geburtstags mit McLuhan beschäftigen will, dem bietet Coupland in seiner eigenen schrulligen Art die Gelegenheit, diesen prominentesten Medientheoretiker sowohl in seiner Genialität als auch in seiner Debilität kennenzulernen.

■  Douglas Coupland: „Marshall McLuhan. Eine Biographie“. Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Tropen-Verlag, Stuttgart 2011, 200 Seiten, 18,95 Euro