Gespielt wird auf dem Platz

TEAMGEIST Naika Foroutan wurde durch das Fernsehen zur Gegenspielerin von Sarrazin. Die Migrationsforscherin punktete mit Zahlen. Beim Fußball mag sie, wenn Berlin Ankaraspor 07 gewinnt

Im Internet hat man versucht, sie zu diskreditieren. Lügen wurden verbreitet. Es gab Morddrohungen

VON ALEM GRABOVAC

Es ist Freitagabend. Ich bin mit der deutsch-iranischen Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan zum Fußball verabredet. Um Punkt neunzehn Uhr pfeift der Schiedsrichter das Oberliga-Nordost-Spiel zwischen Tennis Borussia und Berlin Ankaraspor 07 an. Ungefähr zweihundert bis dreihundert Zuschauer sind gekommen. Der Trainer von Berlin Ankaraspor heißt Bahman Foroutan und war mal Trainer der iranischen Nationalmannschaft. Er ist der Vater von Naika. Mein Mobiltelefon klingelt: Sie steht im Stau und wird es nicht pünktlich schaffen.

In der dritten Spielminute geht der Berliner AK 07 mit 0:1 in Führung. Die lilafarbenen Fans von Tennis Borussia Berlin verfluchen ihre Abwehr. Es riecht nach Bier und Bratwurst. Es ist ein lauer Frühlingsabend. Das Flutlicht geht an und in der Ferne sieht man den Funkturm golden leuchten. Just in dem Moment, als Tennis Borussia das 1:1 in der dreiundzwanzigsten Spielminute erzielt, betritt Naika Foroutan mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Vorschulalter das Stadion. Sie sagt: „Oh nein, wir dürfen dieses Spiel auf keinen Fall verlieren. Bei einer Niederlage würde mein Vater richtig sauer sein.“

Der Fußballverein Berlin Ankaraspor 07 ist ein Beispiel für gelebte Integration. In der Mannschaft spielen Deutsch-Türken neben Deutsch-Iranern und Deutsch-Deutschen. Es zählt, ebenso wie bei der deutschen Nationalmannschaft in Südafrika, allein der Teamgeist. Während des Sommermärchens bei der Weltmeisterschaft 2010 wurde die Nationalmannschaft noch als das neue und bunte Deutschland gefeiert. Elf der dreiundzwanzig Spieler hatten einen Migrationshintergrund. Die Nation schien sich endgültig als eine multikulturelle Gesellschaft anerkannt zu haben. Doch dann erschienen im Herbst des selben Jahres Thilo Sarrazins haarsträubende Thesen über die mangelnde Intelligenz und Integrationsbereitschaft von Muslimen und lösten eine Debatte aus, in der sich Naika Foroutan als eine der seriösesten und härtesten Gegenspielerinnen zu Sarrazin positionierte.

Naika Foroutan forscht an der Humboldt-Universität in Berlin über hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle und leitet die „Junge Islam-Konferenz“ – dem jugendlichen Ableger der Deutschen Islamkonferenz. Foroutan ist vierzig Jahre alt, trägt eine schwarze Lederjacke, ist sportlich gekleidet und strahlt eine positive Lebensenergie aus. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr hat sie in Teheran gelebt. 1983 mussten sie und ihre Familie wegen des Chomeini-Regimes nach Deutschland fliehen. Sie erzählt: „Alle in meiner Familie waren Sozialisten und mein Vater wurde unter beiden Regimen, dem Schah und Chomeini, politisch verfolgt.“ Ihre Mutter ist Deutsche, aufgewachsen ist sie dann in Boppard am Rhein. Sie ist mit zwei Kulturen groß geworden und hat sich in Deutschland niemals als Ausländerin gefühlt.

Bis vor Kurzem war sie allenfalls Fachleuten ein Begriff, die sich mit Bildung und Migration beschäftigen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als sie im September und Oktober 2010 Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ scharf kritisierte. Insbesondere ihre Fernsehauftritte in den Talkshows „Beckmann“ und „Maybrit Illner“, in denen sie Sarrrazin vorwarf, mit falschen Zahlen zu argumentieren, machten sie kurzfristig zu einer Figur des öffentlichen Lebens. Naika Foroutan erklärt, dass sie da so hineingerutscht ist. Die Mitarbeiter von Beckmann hatten sie angerufen, um zu erfahren, ob Sarrazins Zahlen wissenschaftlich haltbar seien. Sie hatte ihnen dann ihre Statistiken geschickt. Aber irgendwie kamen die mit den ganzen Zahlen nicht zurecht und haben sie dann gefragt, ob sie nicht in der Show auftreten könne.

Nach ihren Fernsehauftritten bekam sie Hunderte von Drohungen und Hassmails. „Du scheiß Ausländerin“ und „Geh doch zurück in dein Land“ und „Kannst du dich nicht benehmen“ stand da geschrieben. Die Respektlosigkeit gegenüber dem Islam und ihrer Person hat ihr damals zugesetzt. „Aber das Schlimmste,“ sagt sie mit einem traurigen und enttäuschten Gesichtsausdruck, „waren all diese Mails aus der Mittelschicht von Doktoren und Rechtsanwälten. Die haben mir unter ihrem richtigen Namen geschrieben, mich beleidigt und sich nicht einmal dafür geschämt.“

Es ist Halbzeit. Es steht immer noch 1:1. Naikas kleine Tochter möchte einen Kaugummi und ihr Sohn will etwas trinken. Naika scheint das halbe Stadion zu kennen. Alle paar Meter begrüßt sie einen Onkel, eine Freundin oder einen ihrer Studenten. Die Atmosphäre ist herzlich und freundschaftlich. Man spürt, dass sie in ihrem Bekanntenkreis sehr beliebt ist. Dann geht das Spiel wieder los. Wir setzen uns auf die Haupttribüne und Naika feuert ihre Mannschaft an: „Auf geht’s, Jungs. Wir müssen gewinnen. Gebt alles.“ Naika Foroutan erzählt, dass während der sogenannten Sarrazin-Debatte die Stimmung in Deutschland total vergiftet gewesen sei. Sogar bei den Fußballspielen des Berliner AK kam es immer häufiger zu islamfeindlichen und rassistischen Äußerungen der gegnerischen Fans. Und im Internet hat man auf rechten Foren versucht, sie als Person zu diskreditieren. Lügen wurden über sie verbreitet. Es gab sogar Morddrohungen. „Das war keine einfache Zeit,“ sagt sie zurückhaltend und fügt im Anschluss daran hinzu, dass sich mittlerweile alles wieder beruhigt habe.

Naika Foroutan ist mit zwei Kulturen groß geworden und hat sich niemals als Ausländerin gefühlt

In der zweiundsiebzigsten Minute geht Tennis Borussia mit 2:1 in Führung. Naika Foroutan zeigt mit ihrem Finger auf einen älteren Herren an der Seitenlinie und sagt mit stolzer Stimme: „Das ist mein Vater. Der ist jetzt bestimmt stinkesauer. Der wird die schon noch zum Laufen und Kämpfen bringen.“

In Talkshows gehe sie jetzt trotz zahlreicher Anfragen nicht mehr. In erster Linie sei sie ja Wissenschaftlerin mit einem Bildungsauftrag. Vor ein paar Monaten hat sie mit ihrem Forscherteam ein Dossier mit dem Titel „Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand“ veröffentlicht. Ihre Zahlen seien im Gegensatz zu Sarrazin wissenschaftlich fundiert und verifizierbar. Sie berichtet leidenschaftlich von ihrer Arbeit und meint: „Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir dürfen nicht ‚die Deutschen‘ sagen, genauso wie wir nicht wollen, dass man ‚die Muslime‘ sagt. Wir sind alle Deutsche, eben Deutsch-Kosovaren oder Deutsch-Türken oder Deutsch-Deutsche. Der islamistische Terrorist ist doch auch mein Feind. Wir haben doch die gleichen Gegner. Und darüber hinaus ist die positive Integrationsleistung der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland doch faktisch messbar.“

In der achtzigsten Minute schießt der Berliner AK 07 das 2:2. Die Partie steht auf Messers Schneide. Noch zehn Minuten. Naikas Mannschaft macht Druck. Sie fiebert mit, konzentriert sich jetzt ganz auf das Spiel. Und tatsächlich schaffen sie die Wende. Am Ende gewinnt Ankaraspor das Auswärtsspiel noch mit 2:4. Naika ist zufrieden, sie klatscht und jubelt. Dann sagt sie: „Jetzt gehen wir alle noch zum Türken essen und feiern unseren Sieg.“

Sie lächelt verschmitzt, denn politisch korrekt hätte es natürlich zum „Deutsch-Türken“ heißen müssen. Aber es ist Freitagabend, jetzt heißt es entspannen und man muss ja auch einmal alle neune gerade stehen lassen können.