BEIM RAKETENSCHILD KANN DIE KANZLERIN IN POLEN NICHTS AUSRICHTEN
: Merkels vergebliche Mission

Bei ihren Gesprächen mit dem polnischen Präsidenten will Angela Merkel „dafür werben“, dass der geplante Raketenabwehrschild der USA in Europa unter das „Dach der Nato“ gestellt werde. Diese Werbung wird ergebnislos bleiben. Pünktlich zur Abreise der Bundeskanzlerin erklärte der Chef der amerikanischen Raketenabwehr, Henry Oberling, die USA werden die Federführung für dieses Projekt keinesfalls abgeben.

Für den polnischen Präsidenten Lech Kaczyński bestätigt diese Erklärung Oberlings seine national-konservative Weltsicht, die stets vom Primat des Bündnisses mit den USA ausgeht. Die Stationierung der Abwehrraketen auf polnischem Territorium erhöht demnach Polens Sicherheit, weil sie die amerikanischen und die polnischen Abwehrsysteme im Ganzen miteinander verzahnt und verhindert, dass im Moment einer politischen Krise Polen aus dem militärischen Sicherheitssystem der USA ausgeklinkt wird. Auch verspricht sich Polen durch die Stationierung quasi als Gegenleistung eine Komplettierung seines Raketen-Waffensystems. Während seitens der amerikanischen Politiker fortwährend versichert wird, der Raketenschild diene nur dazu, Angriffe des Iran abzufangen, findet man in den polnischen Erklärungen zu dieser Rechtfertigung kein Wort. So sprach im taz-Interview die Militärexpertin der polnischen Regierung Maria Wagrowska davon, dass Polen sich „in Osteuropa für einen mindestens ebenso wichtigen geostrategischen Partner der USA hält wie die Türkei und Griechenland in Südeuropa“.

Diese Vorstellung von „Geostrategie“ entspringt einem Denken, das Russland für expansionistisch und für potenziell friedensbedrohend hält. Russland, so die Doktrin, wolle seine unabhängig gewordenen Territorien wiedergewinnen und seine alte Hegemonialzone einschließlich Ostmitteleuropas und des Baltikums wiederherstellen. Hiergegen gelte es auch militärisch Vorsorge zu treffen. Dass die Stationierung des Schildes in Polen (und des dazugehörigen Radarsystems in Tschechien) von Russland nur als aggressiver Akt aufgefasst und mit einer neuen Runde des Wettrüstens beantwortet werden wird, gilt in dieser Art von Logik als unerheblich. CHRISTIAN SEMLER