Warschau fühlt sich nicht sicher in der Nato

Die Regierung hat sich längst für die US-Raketen entscheiden – die öffentliche Diskussion jedoch steht noch am Anfang

Warschau taz ■ „Die Nato ist nicht der Bündnispartner unserer Träume!“ Die Zuhörer im vollbesetzten Saal des renommierten Warschauer Business Centre Club halten die Luft an. Denn der Satz stammt nicht von einem der Professoren auf dem Podium zum Thema „Antiraketenschirm in Polen – mehr oder weniger Sicherheit?“, sondern von Witold Waszczykowski, Unterstaatssekretär im Außenministerium. So offen Nato-kritisch hat sich noch nie ein Mitglied der national-konservativen Regierung in Warschau geäußert.

Demnächst sollen Regierung und Parlament darüber entscheiden, ob in Polen Teile eines amerikanischen Raketenabwehrschildes installiert werden. Experten gehen jedoch davon aus, dass in den Hinterzimmern der Macht die Entscheidung für die amerikanische Einrichtung längst gefallen ist. Nur: Die öffentliche Diskussion über Nutzen und Risiken des Abwehrschirms beginnt erst jetzt.

Polen werde künftig eine engere Sicherheitspartnerschaft mit den USA suchen, erklärt Waszczykowski. Die Nato sei in einer so tiefen Krise, dass es nicht einmal gelinge, genügend Soldaten für eine erfolgreiche Operation in Afghanistan zu stellen. Derweil werde Russlands Politik immer aggressiver: Moskau drehe nach Belieben an den Gas- und Ölhähnen – ohne eine angemessene Reaktion der Bündnispartner. Besonders negativ falle hier Deutschland auf. Kanzler Schröder habe hinter dem Rücken Polens mit Russland ein Gasabkommen geschlossen.

„In der Nato haben wir es also mit der Rückkehr zu den Nationalinteressen zu tun, in der EU aber gibt es noch keine gemeinsame Verteidigungspolitik“, erläutert Waszczykowski die Gründe für die Neuausrichtung der polnischen Verteidigungspolitik. „Polen ist durch den Beitritt zur Nato zu einem Ziel Russlands geworden.“ In den Verhandlungen mit den Amerikanern werde Warschau daher fordern, dass auch polnische Soldaten Zutritt zur US-Raketenbasis erhielten.

Militärexpertin Maria Wagrowska hält solche Forderungen für völlig irreal: „Amerikanische Militärbasen in Europa haben einen exterritorialen Status. Da werden auch die Polen nichts dran ändern können.“ Janusz Zemke, der vor drei Jahren als Staatssekretär im Verteidigungsministerium die ersten Sondierungsgespräche mit den USA führte und heute für das Bündnis der demokratischen Linken (SLD) auf der Oppositionsbank sitzt, hält es für sinnvoller, von der aktuellen Sicherheitslage Polens auszugehen. „In fünf bis sechs Jahren werden 800 Raketen zur Luftabwehr veraltet und nicht mehr einsatzfähig sein. Wenn wir den Schirm bei uns stationieren, der die USA vor Interkontinentalraketen schützen soll, müssen wir als Gegenleistung mehr Schutz einfordern.“

Professor Roman Kuzniar war bis vor kurzem Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen – bis er von Außenministerin Anna Fotyga wegen seiner negativen Expertise über den Raketenabwehrschild fristlos entlassen wurde. Er ist nach wie vor überzeugt: „Der Schirm ist nicht nur überflüssig, er ist gefährlich. Ebenso wie die gegenwärtige Außenpolitik Polens.“ Denn wenn die polnische Regierung sage, dass die Nato nicht der „Bündnispartner unserer Träume“ sei, dann sei dies der erste Schritt zur Desintegration. „Wir haben aber kein besseres Verteidigungsbündnis. Lasst es uns nicht zerstören! Die USA allein werden uns nicht schützen.“ GABRIELE LESSER