„Die Braunkohlelobby hat das Land im Griff“

In NRW scheitern alle Initiativen gegen den Klimakiller, sagt die frühere Umweltministerin Bärbel Höhn

BÄRBEL HÖHN, 54, war von 1995 bis 2005 NRW-Umweltministerin. Heute sitzt sie als Fraktionsvize für die Grünen im Bundestag.

taz: Frau Höhn, in NRW wird unter Schwarz-Gelb wie früher unter Rot-Grün munter Braunkohle gefördert. Liegt‘s am menschlichen Buddeltrieb?

Bärbel Höhn: Nein, eher an der guten Lobbyarbeit von RWE. Die Connections des Unternehmens zu den großen Landtagsfraktionen und auch zur FDP sind so gut, dass RWE einen Regierungswechsel nicht fürchten muss. Die Braunkohlelobby hat die jetzige Koalition genauso gut im Griff wie vorher die SPD.

Macht die Regierung Rüttgers also exakt dieselbe Braunkohlepolitik wie zuvor Rot-Grün?

Sogar noch stärker, weil das Gegengewicht der Grünen fehlt. Christa Thoben singt als Wirtschaftsministerin dasselbe Lied wie früher Wolfgang Clement: Die Braunkohle soll weiter bevorzugt werden, so jetzt aktuell bei der branchenspezifischen Zuteilung der Emissionsrechte. Für uns ist das nicht hinnehmbar. Wenn jetzt weiter in den Klimakiller Braunkohlekraftwerke investiert wird, können wir so viele Glühbirnen austauschen und Tempolimits erlassen, wie wir wollen. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes, die auch die Bundeskanzlerin immer verspricht, bekommen wir dann nie hin.

SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will das Braunkohleprivileg kippen. Bewegt sich etwas?

Ich bin gespannt, wie lange er diese Position durchhält. Ich bin auch nicht überzeugt davon, dass Gabriel mit vollem Herzen zu seinen Äußerungen steht. Er muss die Vorgaben der EU akzeptieren und seinen wenig ehrgeizigen CO2-Minderungsplan nachbessern. Vielleicht nimmt er sich die Braunkohle nun vor, um am Ende als heroenhafter Kämpfer unterzugehen. Dann können ihn die anderen Wirtschaftsakteure, die die CO2-Minderung erreichen müssen, nicht beschimpfen.

Warum ist die Braunkohle-Lobby in NRW so stark?

Es ist ja kein Geheimnis, dass RWE als kommunales Unternehmen immer eine enge Verbindung zu den großen Parteien hatte. Ich persönlich habe das am dramatischsten bei der wasserrechtlichen Genehmigung für Garzweiler II erfahren: Die Genehmigung, die unter meiner Fachaufsicht ausgestellt wurde, ist von RWE als ‚vergifteter Apfel‘ bezeichnet worden. Noch am gleichen Abend ist Ministerpräsident Clement persönlich in die Unternehmenszentrale gefahren, um mitten in der Nacht die Korrekturwünsche des Unternehmens entgegen zu nehmen. Wenn ich damals nicht interveniert hätte, wären die Änderungen alle angenommen worden.

Trotzdem haben auch Sie Garzweiler II nicht verhindern können. Sehen Sie das rückblickend als Fehler?

Was hätten wir tun sollen? Alle Fraktionen im Landtag waren gegen uns, wir hatten keinerlei Rückhalt. Dafür haben wir bei den Auflagen eine Menge herausgeholt – mehr ging leider nicht.

Sie hätten die Koalition platzen lassen können.

Mit einem noch schlechteren Ergebnis? RWE hatte seine Version des Genehmigungsvertrages doch schon als Kopie bei den Gesprächen dabei. Die wäre sofort unterschrieben worden.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN