„Als Messias bin ich nicht geeignet“

Der Publizist Michael Naumann soll die Hamburger SPD aus der Krise führen. Im taz-Interview erklärt er seine Motivation, bei der Bürgerschaftswahl gegen Amtsinhaber Ole von Beust (CDU) anzutreten – und warum sein Wahlkampf „amerikanisch“ wird

MICHAEL NAUMANN, 65, geboren in Köthen/Sachsen-Anhalt, habilitierter Politologe, war schon Journalist, Verlagsmanager, Kulturstaatsminister und zuletzt Herausgeber der Zeit.

INTERVIEW: JAN KAHLCKE

taz: Herr Naumann, was war Ihr erster Gedanke, als Olaf Scholz Ihnen die Spitzenkandidatur der Hamburger SPD antrug?Michael Naumann: Verblüffung. Nackte Verblüffung, sozusagen Verblüffung an und für sich.

Warum haben Sie zugesagt?

Erstens, weil ich den bedauernswerten Zustand meiner Partei in Hamburg kannte – ihn aber nicht als Ende der SPD-Tradition in der Stadt akzeptieren konnte. Zweitens, weil ich die Geschichte dieser Stadt mit ihren hervorragenden Bürgermeistern in Nachkriegszeit und Weimarer Republik kenne. Die Möglichkeit, sowohl für die Stadt als auch für die Sozialdemokratie antreten zu können, empfand ich als Herausforderung und Ehre zugleich.

Als Sie das Amt des Kulturstaatsministers hinwarfen, sah es aus, als hätten Sie von der aktiven Politik genug.

Ich habe nicht „hingeworfen“. Mein Rücktritt hatte absolut private Gründe, die vom Bundeskanzler akzeptiert wurden.

Sie sind 65 Jahre alt. Noch darf man in diesem Alter in Rente gehen. Wollen Sie beweisen, was noch geht?

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich aufs Altenteil gehöre. Es ist der Zeitpunkt im Leben, an dem man sich fragt: Kann ich noch mal was Neues probieren?

Sie hätten aber auch einfach segeln gehen können. Oder ein paar Bücher vom Nachttisch räumen. Was ist das für ein Kick, in so eine aussichtslos scheinende Schlacht zu ziehen?

Sie zu gewinnen.

Schlummert in Ihnen ein Spielertyp?

Ich kann kein Skat spielen, die sozialdemokratische Urspielform. Im Schach hat mich mein Sohn schon geschlagen, als er fünf Jahre alt war. Spieler – nein. Aber ehrgeizig bin ich schon.

Verbindet Sie das mit Gerhard Schröder?

Ich glaube ja. Die ganze Nachkriegsgeneration hat ein Charakteristikum, das in der psychoanalytischen Literatur als Identitätssuche beschrieben wird – zumal, wenn der Vater gefallen ist. Man möchte der Welt einen eigenen Stempel aufprägen. Gerhard Schröder und ich haben gemeinsam, dass wir ohne Väter aufgewachsen sind und darum auch nicht die Vater-Sohn-Kämpfe ausfechten mussten, sondern andere Kämpfe.

Warum wollen Sie mit Gerhard Schröder in den Wahlkampf ziehen, im kollektiven Gedächtnis vor allem der Schöpfer von Hartz IV und Duzfreund des Halbdemokraten Putin?

Ich halte politische Loyalität für eine Tugend, die man nicht nach Fehlinterpretationen auch meiner ehemaligen Kollegen neu justieren darf und soll. Gerhard Schröder ist der beste Wahlkämpfer, den die SPD je erlebt hat. Putin halte ich nicht unbedingt für einen lupenreinen Demokraten. Aber Schröder allemal. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Schröder sich zugunsten der Ukraine und Weißrusslands im Gasstreit mit Russland moderierend eingemischt hat. Und die Energiesicherung Deutschlands ist auch keine Schande.

Von der Partei werden Sie zum Heilsbringer stilisiert. Ist Ihnen das manchmal unheimlich – oder ist es die notwendige Voraussetzung für eine gewisse Unabhängigkeit?

Um das mal für die theologisch gebildeten taz-Leser zu sagen: Einen immanent-eschatologischen Wahlkampf werde ich nicht führen. Das heißt: Als Messias bin ich nicht geeignet. Man weiß ja, wie das ausgeht mit Erlösern. Ich bin nichts dergleichen. Ich empfinde mich als normalen, politisch interessierten Bürger, der gefragt worden ist, ob er ins kalte Wasser springen will. Ich bin Fahrtenschwimmer, habe da keine Probleme.

Dennoch nehmen Sie sich ja inhaltlich Freiheiten, für die Parteichef Petersen geschlachtet worden wäre. Ist jetzt die Zeit, Grenzen zu testen?

Ich teste ja nicht die innerparteilichen Grenzen, sondern ich möchte, dass die Partei gewählt wird. Dafür muss ich eigene Positionen einbringen, von denen ich glaube, dass sie in dieser Stadt mehrheitsfähig sind. Das kann nicht bedeuten, dass ich mich aus dem Solidaritätsrahmen der Partei bewege. Sie werden von mir keine ordoliberalen Positionen hören. Ich werde nicht dazu aufrufen, im Strafvollzug rosa Pyjamas mit Fußketten einzuführen. Ich werde nicht dafür eintreten, auch noch den Michel zu verkaufen. Mit anderen Worten: Es gibt programmatische Grenzen für mich, und die sind identisch mit denen meiner eigenen Partei.

Kreischef Johannes Kahrs hat mit einem gewissen Respekt gesagt, Sie seien „kein Konsenshündchen“. Haben Sie trotzdem manchmal Sorge, in das Intrigenspiel der Kreisfürsten zu geraten?

Nein. Konsens ist aber nichts prinzipiell Böses. Wer politischen Konsens herbeiführt, ist in der Regel ein Überredungskünstler und kein Hündchen. Aber es stimmt, aus Spaß am Streit neige ich auch zum Polarisieren – auch im eigenen Laden. Aber wir werden uns aneinander gewöhnen.

Sie haben gesagt, es gebe in der Partei „kein Schisma“, sondern nur Familienkrach. Aber müsste sich die SPD nicht dringend mal über Inhalte streiten statt über Personen?

Die Diskussionen, die ich mir angeschaut habe, waren durchaus inhaltlicher Natur, die Unterschiede standen aber meines Erachtens in keinem Verhältnis zu den Konsequenzen. Eigentlich ist doch etwas Urdemokratisches passiert: Es ist abgestimmt worden. Und dann werden Wahlstimmen gestohlen! Das ist der Tiefpunkt der Geschichte unserer Partei in Hamburg. Aber nicht die Partei hat die Stimmen gestohlen, sondern ein anonymer Politgangster. Man kann deswegen doch nicht behaupten, die SPD sei dabei gewesen, sich selbst zu zerlegen. Sie war mitten in einem demokratischen Selbstdefinitionsprozess.

Sie haben einen amerikanischen Wahlkampf angekündigt. Wird das die erste echte Personenwahl in Hamburg?

Die letzte war eine. Da ist ein geniales Wahlplakat gewählt worden. Ein sympathisches, naturblondes Porträt ist gewählt worden. Die SPD kann nicht mit denselben, rein PR-orientierten Maßnahmen dagegen halten. Für mich ist das Amerikanische etwas ganz anderes. Man nennt das canvassing. Ich werde von Tür zu Tür gehen und zuhören, wo den Wähler der Schuh drückt.

Ist nicht die Kanditatenfindung vorbei an der Parteihierarchie schon amerikanisch?

Ich stehe zwar außerhalb der Hierarchie, aber ich bin ja ein bekennendes Mitglied der SPD. Ich bin also kein Mr. Bloomberg, der Milliarden Dollar im Hintergrund hat und sich seinen eigenen Wahlkampf in New York finanziert.

Viele ziehen Parallelen zwischen Ihnen und Klaus von Dohnanyi. Ausgerechnet Dohnanyi warnt Sie jetzt vor einer Festlegung auf Rot-Grün und lobt die Politik von Ole von Beust. Tut Ihnen das weh?

Ich schätze Klaus von Dohnanyi sehr. Er hat in Hamburg Erfahrungen mit Institutionen im subpolitischen Raum wie der Hafenstraße gemacht, die ich nicht gemacht habe. Da sind politische und biografische Tabugrenzen. Mit den Grünen von heute hat die Szene von damals nichts zu tun.

Wo liegen Ihre Tabugrenzen?

Für mich kommen nicht in Frage die Linkspartei und auch nicht die kuriose Kusch-Truppe mit ihrem Heimat-Tremolo.

Was spricht gegen die Linkspartei?

Meine politische Biografie. Meine Mutter und ich sind in buchstäblich letzter Minute der DDR entkommen, als meine Mutter von der Stasi verhaftet werden sollte. Die Abarbeitung der DDR-Vergangenheit in der Linkspartei ist halbherzig bis verlogen. So lange ehemalige Stasi-Mitarbeiter in dieser Partei mitwirken ist mir dieses Milieu suspekt.

Schließen Sie eine große Koalition aus?

Ja.

Warum?

Weil wir gewinnen werden.