Wem gehört die Museumsinsel?

So rückwärtsgewandt das Bürgerbegehren gegen den Neubau auf der Museumsinsel ist, wirft es doch eine wichtige Frage auf: Wie hält es die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Transparenz?

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Auf der Berliner Museumsinsel steht derzeit ein Phantom am Pranger. Obwohl niemand so genau weiß, wie das Gespenst aussieht, wurden sein Aussehen und seine Wirkung eindeutig identifiziert. Es handelt sich quasi um den Leibhaftigen in der Architektur, nämlich die Moderne – zumindest für die Bürgerinitiative „Rettet die Museumsinsel“.

Deren Initiative richtet sich gegen das geplante neue Eingangsgebäude auf der Museumsinsel des britischen Architekten David Chipperfield. Seine geplante „James-Simon-Galerie“, so die Bürger, verstelle die Sicht auf das Neue Museum und zerstöre damit den Gesamteindruck des weltweit einmaligen Museumsensemble und Unesco-Weltkulturerbes – auch Berliner Louvre genannt. Die Pläne Chipperfields sucht die Initiative mit einem Volksbegehren verhindern.

Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), hat zu Beginn der Woche – nach der Eröffnung des Volksbegehrens – in einer hektisch formulierten Presseinformation das Wort „Phantom“ in den Ring geworfen. Zu Recht, denn Chipperfields Pläne sind noch gar nicht gezeichnet. Diese werden laut Bauherr SPK frühestens in einem Jahr vorliegen. Zugleich bezeichnete der Präsident die Initiative als „absurd und fahrlässig“ – Attribute, die nicht auf die besten Nerven Lehmanns schließen lassen.

Klar ist, die Streiter „gegen die Verunstaltung der Berliner Museumsinsel mit modernen Neubauten“ haben nicht nur die Ruhe vor Ort und bei der SPK gestört. Vielmehr gleicht die generelle Absage an Neubauten und der Ruf nach Bewahrung des historischen Vorbilds im baulichen Kosmos von Schinkel, Stüler und Messel einer Kampfansage. Die Attacke – geführt von Prominenten wie Lea Rosh und Wolf Jobst Siedler, dem Historiker Arnulf Baring oder TV-Mann Günther Jauch – besitzt eine neue Qualität. Widerspricht sie doch allem, was als „Commonsense“ und Perspektive für den Ausbau des Areals bisher galt.

Denn mit dem Volksbegehren sehen sich zum einen die Stiftung, ihr Präsident Lehmann und seine Pläne, die Museumsinsel 2013 bis 2015 zum kulturellen Repräsentationsprojekt Berlins umzugestalten, mit der Kompetenzfrage konfrontiert. Zum anderen – und das wiegt vielleicht schwerer – kratzt die Bürgerinitiative mit ihrer Aktion an einem Kommunikations- und Demokratiedefizit bei der SPK.

Bisher erinnerte die Umgestaltung der Museumsinsel an einen steinernen Buddha, der ruhig und still alle Operationen an sich vorüberziehen ließ. 2001 war die Nationalgalerie nach einer vom Architekturbüro HG Merz durchgeführten Generalsanierung der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht worden. 2006 eröffnete das Bodemuseum als Standort der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst. Das Alte Museum wird derzeit nach den Plänen von Hilmer & Sattler und Albrecht (München/Berlin) für die Antikensammlung aufpoliert.

Dafür ließen sich die Stiftung und Lehmann selbst – zu Recht – tüchtig feiern. War es ihnen doch gelungen, die Museen im Kontext der Geschichte und inklusive der modernen Begehrlichkeiten zu sanieren. Das sollte dann so weitergehen: beim Wiederaufbau des Neuen Museums, das 2009 als Platz für den wunderbaren Kopf der Nofretete reserviert ist; beim Pergamonmuseum, das von 2008 an von Oswald Mathias Ungers gründlich saniert werden soll und um die „Archäologische Promenade“ erweitert wird; und schließlich 2008/2008 bei Chipperfields umstrittenem Neubau für die Eingangsgalerie am Kupfergraben, westlich des Neuen Museums.

Warum die SPK gerade bei den zuletzt genannten Projekten keinen Kontakt, keine Transparenz und keinen Diskurs gerade über das „moderne“ Baugeschehen herstellt, ist unverständlich, liegt doch gerade hierin das Konfliktpotenzial.

Zum einen werden die kriegszerbombten Altbauten und der in die Jahre gekommene Bestand durch die modernen Zutaten und Erweiterungen strengeren baulichen Prüfungen unterzogen als die im historischen Kontext verabreichte Sanierung der Alten Nationalgalerie und des Bodemuseums.

Zum anderen muss die SPK vermitteln, dass der „Berliner Louvre“ nicht mehr im Geiste des 19. Jahrhunderts funktioniert, sondern sich baulich und funktional auf das Millionenpublikum des 21. Jahrhunderts und dessen Bedürfnisse einzustellen hat: mit nützlichen, großen Zugangsarchitekturen, besserer innerer räumlicher Kommunikation und in moderner baulicher Sprache – wie es der Namenspate Louvre und seine gläserne Pyramide vormachen.

Die SPK hat nicht damit gerechnet, dass sich das öffentliche Interesse am Berliner Bauwesen und der Diskurs über die Berliner Baukultur von solchen Vorhaben nicht ausschließen lassen, schon gar nicht beim Thema Museumsinsel. Und – siehe Potsdamer Platz, Reichstag, Schlossrekonstruktion, Holocaust-Mahnmal oder Planwerk Innenstadt – es hat den Projekten und Bauwerken noch nie geschadet, wurden sie mittels der hiesigen Diskussionskultur traktiert. Im Gegenteil.

Bei der Stiftung stößt man da aber auf taube Ohren. Große öffentliche Veranstaltungen zu den Neubauplänen sucht man vergebens. Führungen über die Baustellen à la Potsdamer Platz und Reichstag: Fehlanzeige. David Chipperfield hat seine Pläne wenig in der Architektenszene erläutert. Den letzten Blick in das wohl interessanteste Treppenhaus auf Berliner Baustellen und die Antwort auf die Frage: Wie interpretiert Chipperfield wohl Stülers weltberühmte Treppe von 1857 im Neuen Museum?, bekam man vor Jahren.

Schon Lehmanns Reaktion auf die Bürgerinitiative und ihr Begehren war nicht gerade professionell. So richtig er damit liegt, dass „die Museumsinsel immer Ausdruck einer jeweils existierenden zeitgenössischen Architektur war“, so unangebracht ist seine Polemik. „Man ist wohl gegen alles, was modern sein könnte“, motzte der Präsident. „Wir haben mit der Nationalgalerie und dem Bode-Museum bewiesen, wie ernst wir den Denkmalschutz nehmen. Kulturelles Erbe ist zu wertvoll, um es dem Tagesgeschmack zu überlassen.“

Das klingt nach Selbstgerechtigkeit und wenig Ambitionen, sich der Kritik zu stellen. Statt Frustreaktion und Festungsmentalität wären aber zwei Dinge vonnöten gewesen. Zum einen hat Lehmann gewichtige Unterstützer. Klaus Wowereit, Berlins Regierender, sprach sich gegen das Ansinnen der Bürgerinitiative aus und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Chipperfield-Eingangsgebäude konzeptioneller Bestandteil des Ensembles werden müsse.

Zum anderen muss die Stiftung Preußischer Kulturbesitz endlich herunter von ihrem hohen Ross und in die Kommunikation mit den Berliner Bürgerinnen und Bürger eintreten. Schon damit könnten die meisten „historisch begründeten“ Argumente der Bürgerinitiative relativiert werden. Etwa dass der Chipperfield-Bau die Sicht vom Kupfergraben auf das Museumsensemble versperre – hier stand früher Schinkels Packhof.

Schließlich geht es um etwas ganz Simples: Die Museumsinsel gehört nicht der SPK, sondern den Berlinern. Was mit ihr geschieht, geht uns alle an. Nicht nur Herrn Chipperfield und Herrn Lehmann.