Etappensieg der Visionäre

Musiker lieben ihn, Tonmeister rühmen ihn, doch der Abrissantrag ist gestellt: Nachdem Radio Bremen seinen Sendesaal verkauft hat, schien der Kampf um seinen Fortbestand lange aussichtslos. Nun hat ihn der Landeskonservator unter Schutz gestellt und der neue Eigentümer gibt sich verkaufswillig

von Benno Schirrmeister

Fast war es wieder so weit. Aber jetzt ist der Abriss des historischen „Studio F“ in Bremen erneut zumindest aufgeschoben. Tontechniker-Fachzeitschriften bezeichnen es als „Norddeutschlands besten Saal“. Andere Liebeserklärungen an ihn stammen von Musikern von Weltrang, vom Konzertpianisten Alfred Brendel über den Barockspezialisten Nikolaus Harnoncourt bis zum Saxophonisten Tim O’Dwyer.

Den Erhalt des Radio Bremen-Sendesaals vorläufig gesichert hat Georg Skalecki. Der ist weniger bekannt, dafür aber Bremer Landeskonservator. Und ihm zufolge hat der Saal nicht nur eine überragende stadthistorische Bedeutung. Er sei zugleich ein Technikdenkmal von nationalem Rang: „Bundesweit einzigartig“ sei die „federnd gelagerte Raum-in-Raum Konstruktion“, so Skalecki. Deren Zweck: Der Raum ist absolut schalldicht – während der Klang im Innenraum jeden Platz ungehemmt und unverfälscht erreicht. Als „lebendige Stille“ hat O’Dwyer den Effekt beschrieben. Und das Landesamt für Denkmalpflege hat den Bau jetzt unter Schutz gestellt.

Am 6. März hat die Behörde einen entsprechenden Bescheid verschickt. Bei Willi Heise ist er schon angekommen. Heise ist Chef der HVD Grundbesitz Gesellschaft, die ihren Sitz in Norderfriedrichskoog hat, weil das Dorf in Nordfriesland bundesweit den niedrigsten Gewerbesteuerhebesatz hat. Besonders überrascht hat Heise das amtliche Schreiben nicht: Mit so etwas müsse man als Investor ja rechnen, sagt er der taz. „Wir legen dagegen Widerspruch ein.“ Bis 6. April hat er dafür Zeit. An einem Konzertsaal habe man nämlich „keinerlei Interesse“: Sonst hätte man wohl kaum vor einem halben Jahr einen Abrissantrag gestellt. Heises Rechnung sieht so aus: Radio Bremen fällt als Hauptnutzer weg, „und wenn der Saal nur vier bis sechs Wochen leer steht – das ist überhaupt nicht darstellbar, was das kostet.“

Sein Unternehmen hatte Sendesaal und angrenzende Grundstücke im noblen Stadtteil Schwachhausen vor einem guten Jahr von Radio Bremen erworben. Die kleinste ARD-Anstalt legt aus Kostengründen Rundfunk- und TV-Abteilung in Citynähe zusammen. Der Verkauf der alten Liegenschaften sollte Neubau und Umzug finanzieren. HVD schafft auf dem ehemaligen Radio-Gelände Wohnfläche, geplante 22.000 Quadratmeter. Das ist viel für Bremer Verhältnisse, für seine Firma, behauptet Heise, allerdings nur ein Mittelprojekt. Referenzen mag er keine nennen, aber es lassen sich Baufortschritte beobachten: Südlich des Saals hat man bestehende Gebäude mit Penthouses aufgestockt, das wirft Schatten auf das Kernstück des Geländes, das jetzt in Angriff genommen werden soll. Und da störe der Saal: „Ein Fremdkörper“ nennt ihn der Bauherr.

Im Stadtteil sieht man das ganz anders: Der Beirat tritt seit Jahren für den Erhalt des Bauwerks ein, nicht nur wegen seiner historischen Bedeutung. Auch auf den Veranstaltungsort möchte man ungern verzichten. „Wir hoffen“, sagt Ortsamtsleiter Werner Mühl, „dass der Saal zu einem kulturellen Zentrum wird.“

Die Hoffnung stützt sich vor allem auf einen Verein. Die „Freunde des Sendesaals“ hatten den Kampf für den Erhalt sofort aufgenommen, als bekannt wurde, dass Radio Bremen das Juwel veräußern wollte. 2002 war das, das Studio F feierte 50-jähriges Bestehen und die Festschrift geriet ein Stück weit zur Streitschrift. Es gab Benefizkonzerte, Solidaritätsadressen und schon damals hatte man Skalecki angespitzt. Der hatte auch den historischen Wert des Baus sofort erkannt. Allerdings: Die politischen Voraussetzungen waren andere. Man sah den Sender in der Existenz bedroht. Senatspräsident Henning Scherf machte sich persönlich gegen das Bauwerk stark: „Eine Unterschutzstellung wird es nicht geben“, sagte er, Kultursenator Hartmut Perschau pfiff als dessen direkter Vorgesetzter den Denkmalpfleger zurück.

Heute sind beide nicht mehr im Amt. Radio Bremen ist aus dem Schneider. Und es ist Wahlkampf. „Die Unterschutzstellung“, sagt der Vereinsvorsitzende Peter Schulze, „ist ein wichtiger Schritt“. Dass die Kulturbehörde sie diesmal wieder torpediert – unwahrscheinlich. Zeit also große Pläne zu hegen: Noch Mitte der Woche will der Verein ein Nutzungskonzept konkretisieren.

Es verdient das Prädikat kühn und trägt den Namen „MusicVillage“. Tatsächlich, so der Entwurf, soll „ein klingendes Dorf“ entstehen. Bewohnerprofil: Menschen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind und nun nicht vor die Glotze hocken wollen. Sondern sich mit Gleichgesinnten kreativ austoben wollen. Und Künstler von Rang, die den Sendesaal für Auftritte und die angeschlossenen Tonstudios für Aufnahmen nutzen – und bereit sind den Music-Dörflern Kurse zu geben. Alfred Brendel vielleicht. Oder Jazzgrößen.

Die Kontakte sind da: Peter Schulze zum Beispiel, der Vereinsvorsitzende, ist von Beruf Intendant des JazzFests Berlin. Bisher sind die Verhandlungen zwischen Verein und HVD im Sande verlaufen: „Man kann ja immer gut Visionen haben“, so Heise. „Aber das hilft nix, wenn das niemand finanziert.“ „Wir haben Investoren“, hält Schulze dagegen. Nur könne man die nicht nennen. Nicht zumindest, so lange HVD nicht zu Verhandlungen bereit sei. Denn „dass die unser Konzept nicht selbst umsetzen wollen, haben sie unmissverständlich klar gemacht“, so Schulze.

Und wie steht’s bei HVD? Würden Sie den Saal verkaufen, Herr Heise? „Warum denn nicht“, sagt da der Unternehmer. „Grundsätzlich schon.“