„Ihr seid einfach wunderbar“

JUGENDMUSIK Der frühere Leiter des Jugendsinfonie-Orchesters, Heiner Buhlmann, hat die Mitglieder seines Orchesters aus den Jahren 2005 bis 2012 eingeladen – zu einem großen musikalischen Erinnerungs-Ereignis

„Jetzt ein bisschen mehr, mehr, mehr, noch mehr. Da könnt ihr ruhig anziehen, alle Emotionen liegen da drin. Ihr spielt viel zu glatt, zu bremisch. Ich weiß, dass ihr es schöner könnt“

HEINER BUHLMANN

VON KLAUS WOLSCHNER

Vorsicht! Siebzig Verrückte sind in der Stadt an diesem Wochenende. Jugendliche, die nicht (nur) gern zu den ostinaten Rhythmen der Popmusik schunkeln, sondern Spaß daran haben, aus komplizierten Instrumenten differenzierte Tongebilde herauszukitzeln, und das auch noch in größeren Gruppen, um mächtige Klangereignisse wie Dvoraks 8. Sinfonie zu erzeugen oder melancholische wie das Stück „Prayer“ aus Ernest Blochs Zyklus „Jüdisches Leben“.

Sie kamen aus Freiburg, aus Kopenhagen, aus Göttingen und anderen Universitätsstädten zusammen. Was sie verbindet, ist ihre gemeinsame Geschichte – im Jugendsinfonieorchester bei Heiner Buhlmann, der die Jugendlichen bis zum Jahre 2012 dort anleitete. Inzwischen studieren sie Medizin, Biologie, Kommunikation und anderes – einige auch Musik. Anfang des Jahres erhielten sie eine Rundmail von „Heiner“ und dem guten Geist des Orchesters, seiner Frau, die sie Helga nennen, ob sie nicht „noch einmal“ wollten. Sozusagen als nostalgisches Event, als Erinnerung auch an Luca, die Jugend-Musikerin, die damals in Ecuador bei einem Verkehrsunfall tragisch ums Leben gekommen war.

Sie wollten, meldeten sich an, teilten Stimmgruppen ein. Am Donnerstagabend war die erste Probe, „Prima Vista“ nennt man das im Musiker-Jargon, erstes Probieren. „Schlüssel muss links stehen“, ulkte Buhlmann in der Einladung – damit niemand die Noten auf den Kopf stellt. Einige derer, die da zusammenkamen, haben in den letzten Studienjahren selten bis nie zu ihrem alten Instrument gegriffen. „Nach ein paar Takten war es wie früher“, schwärmt Karo nach der Probe, die Bratschistin studiert in Oldenburg Biologie und Musik. Heiner Buhlmann leistet vorn am Dirigentenpult körperliche Schwerstarbeit. Er versucht, den jungen Musikern wieder Selbstbewusstsein einzuprügeln und gleichzeitig klarzumachen, dass es noch lange nicht so klingt wie er es will, sorry: wie sie es erklingen lassen könnten. „Jetzt siebenfaches Pianissimo“, brüllt er in das Spiel, „ganz weg, piano, jetzt ein bisschen mehr, mehr, mehr, noch mehr“ – die Armbewegungen werden ausladend – „da könnt ihr ruhig anziehen, alle Emotionen liegen da drin. Das Gleiche noch mal, wir setzen bei Dora ein. Das spielt ihr viel zu glatt, zu bremisch. Ich weiß, dass ihr es schöner könnt.“

Buhlmann funkelt mit den Augen und fuchtelt mit den Armen, der ganze Körper muss mitdirigieren, emotional wie ein Stadionsprecher macht er seine Einwürfe und beschreibt, wie gespielt werden soll. Am Sonntag schon soll das alles klappen im Konzert, nach zwei vollen Probentagen, Buhlmann ist unter Druck – und die Intensität, mit der er die Probe leitet, lässt keinen Raum für Unaufmerksamkeiten oder Geplauder. Hier sieben Takte, da zwölf Takte, die jungen Musiker müssen höllisch aufpassen, um bei dem Tempo mitzukommen. Am Ende dürfen sie das Finale der Dvorak-Symphonie einmal über fünf Minuten ohne Unterbrechung spielen, ein gewaltiger Schluss, auch die Bläser geben alles. „Ihr seid einfach wunderbar. Geht mit dieser Musik im Herzen nach Hause“, beendet Buhlmann die Probe.

Einige der jungen Musikerinnen treffen sich danach noch in der Kneipe, um endlich ungestört klönen und in den Erinnerungen schwelgen zu können. Die gemeinsame Arbeit an der Musik hat sie über Jahre zusammengeschweißt, für viele sind die Freunde aus dem Jugendorchester bis heute die wichtigen, sagt Stefan, der Geiger. Sie haben „Sternstunden“ ihrer Jugendjahre zusammen erlebt, Konzertreisen in die Türkei, nach Italien, Norwegen. Jedes Jahr das Konzert „Musik und Licht am Hollersee“, Bremens größtes Open-Air-Klassikereignis mit Tausenden von Zuhörern. Nicht zu vergessen die jährlichen Konzerte eines „internationalen“ Jugendorchesters mit jugendlichen Gast-Musikern aus aller Welt. „Deswegen sind wir alle wieder da“, sagt Benni. „Der Geruch der Musikschule – man fühlt sich zurückgeworfen“, findet Andreas. Und natürlich der gute Geist dieses Projektes, Heiner Buhlmann, der sie alle für diese Musik begeistern konnte. Auch er ist an diesem ersten Probenabend wieder der „Alte“, gibt „seinen“ Jugendlichen, was sie erwarten. Was macht der 67-Jährige, wenn er nicht gerade in Musik-Projekten engagiert ist? Er kocht gern, sagt seine Frau, und macht gerade einen Flugschein.

■ Das Konzert der früheren JSO-Schüler findet am Sonntag, 31. August, um 17 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen statt. Eintritt frei – am Ausgang wird um eine Spende für die „Casa Luca“ in Ecuador, die Waisenkindern hilft, gebeten;

Das große Open-Air-Konzert „Musik und Licht am Hollersee“ findet am 21. 09. 2014 am Hollersee statt – mit dem „neuen“ JSO und seinem neuen Leiter Martin Lentz