Das neue Europa ist das der Interessen

Der Immer-noch-Staatsmann Joschka Fischer sieht nicht mehr die Wirtschaftspolitik, sondern die Außenpolitik als Bindemittel Europas. Statt der föderalen Visionen brauche Europa gemeinsame Interessen. Konferenz der europäischen Grünen in Berlin

Er ist ein Schnelldenker und ein Blitzantworter. Aber beim Schreiben lässt sich Joschka Fischer so viel Zeit wie beim Marathonlaufen, Rotweintrinken und Abendessen. Seine geopolitisch unterfütterten Memoiren brauchen länger als verabredet. Fischer hat erst die Hälfte des Manuskripts, das im Mai gedruckt werden sollte, beim Verlag abgeliefert. Der ehemalige Sponti, Taxifahrer, Außenminister und amtierende Gastprofessor hat viel zu tun. Daher müsse Fischer die Schreiberei immer wieder unterbrechen, gestand sein Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch der Bild am Sonntag. Jetzt muss die Nation noch ein bisschen warten, ehe die auf knapp 300 Seiten angelegte ultimative Fischer’sche Weltlage auf den Markt kommt: „Die rot-grünen Jahre – Deutsche Außenpolitik vom Kosovo bis zum Irak“.

AUS BERLIN NICOLE MESSMER

Er ist das Zugpferd der europäischen Grünen. Hunderte sind gekommen, um zu hören, was der Welterklärer zur Zukunft Europas zu sagen hat. Eineinhalb Jahre nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik und genau an jenem Ort, wo er vor fast sieben Jahren seine Vorstellung von einem europäischen Bundesstaat skizzierte, spricht Joschka Fischer wieder in der Humboldt-Universität Berlin. Seine Visionen von damals allerdings relativiert er schnell. „Europa wird von den föderalen Träumen nicht geleitet werden, wenn die Interessen gegenläufig sind“, sagt Fischer bei der Ratssitzung der Grünen Europas in Berlin.

Das europäische Klein-Klein im Vorfeld der großen Gipfelsause zum 50-Jährigen der europäischen Union nächstes Wochenende interessiert Fischer nur am Rande. Anders als seine Parteikollegen, die immer wieder Kritik an der „Geheimdiplomatie“ der deutschen Ratspräsidentschaft üben. Fischer ist zuständig für die großen Linien der Weltpolitik. Und Europa müsse in der Welt mitreden. Dafür brauche es ein „Europa der Interessen“.

Navy der Hisbollah

Fast könnte man glauben, vorne am Redepult steht noch immer der Außenminister. Wie gewohnt im dunklen Anzug und Krawatte – nur ein wenig rundlicher als noch vor eineinhalb Jahren – erklärt er die Welt: „Frieden ist nicht nur mit Worten zu erzielen“, mahnt Fischer. Die EU müsse eine Rolle in der Welt übernehmen, im Libanon, in Israel und in Afghanistan. Dann wird er ganz innenpolitisch: In Afghanistan habe die Bundesregierung die Hilferufe der Verbündeten zu lange überhört, im Libanon müssten andere Nationen die Kohlen aus dem Feuer holen – während die Deutschen „die Küsten gegen die schreckliche Navy der Hisbollah“ verteidigten.

Manchem Parteifreund missfällt die kaum verhüllte Aufforderung zu mehr militärischem Engagement in der Welt. Beifall bekommt Fischer, wenn er den Klimakompromiss der europäischen Staatschefs vom Frühjahrsgipfel in Brüssel in Frage stellt. Ob das Ergebnis „Maastricht“ (also ein Erfolg) oder „Lissabon“ (ein Formelkompromiss) sei, entscheide sich erst, wenn konkret über die Lasten der Treibhausgas-Reduzierungen verhandelt werde.

Klimaschutz und Energiepolitik sind das Hauptthema des Kongresses der europäischen Grünen – übrigens lange geplant, bevor alle nur noch vom Klima anstatt der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus sprachen. Die Delegierten fordern eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 30 Prozent bis 2020 und 80 Prozent bis 2050. Die Grünen müssten einen Schritt voraus sein, fordert der Umweltminister der Tschechischen Republik, Martin Bursik: „Ich persönlich begrüße es, dass die Grünen kein Monopol auf das Thema mehr haben. Wir brauchen Verbündete.“

Kein Zwischeneuropa

Die Partei will in Europa gehört und ernst genommen werden. Bei der nächsten Europawahl 2009 werden sie wie schon 2004 mit einer gemeinsame Kampagne und voraussichtlich gemeinsamen Spitzenkandidaten für ihre Sache werben. Dass das Klima ein wichtiges Thema sein wird, ist jetzt schon klar.

Fischer ist derweil schon wieder bei der Außenpolitik. Die Türkei sei ein Sicherheitsanker und dürfe nicht ignoriert werden. Und mit Blick auf die Ukraine, Weißrussland und Moldawien fordert er: „Wir dürfen uns kein Zwischeneuropa erlauben.“ Und: Europa müsse endlich mit einer Stimme sprechen, sonst werde es nicht ernst genommen.

Hier kommt Fischer endlich auf die EU-Verfassung zu sprechen. Weil die noch nicht ratifiziert ist, könne Europa keine Stärke zeigen. Was sich abzeichne, sei jedoch ein hervorragender Kompromiss. Entscheidend sei, den Kern der Verfassung bis 2009 umzusetzen. Pragmatisch und realistisch ist dieser Teil der Rede: Wer sich hier neue Visionen zur Zukunft der EU erhofft hatte, wurde enttäuscht: keine föderalen Träume diesmal, sondern nur europäische Interessen.