Zeit, große Zeit!

HORIDO Deutsche Waffen und Soldaten werden nach Kurdistan geflogen. Das ist kein Tabubruch, sagt Sigmar Gabriel, SPD. Es ist ein Tabubruch, meint Ursula von der Leyen, CDU. Beide sind dafür. Die taz-LeserInnen sind dagegen oder hoffen auf eine starke UNO

■ betr.: „Die Tabubrecher“, taz vom 21. 8. 14

Dieser Tabubruch wurde seit langer Zeit vorbereitet. Ende Januar sagte Bundespräsident Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Deutschland müsse sich international stärker engagieren, es solle sich „früher, entschiedener und substanzieller einbringen“. Jetzt wissen wir, was damit gemeint war. Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga („Die dem Tod ins Auge Sehenden“) sind hochproblematisch. Es gibt zwei rivalisierende Peschmergagruppen, die sich unter ihren Anführern Barsani und Talabani jahrelang heftig bekriegt haben. Auch jetzt bestehen bereits Unstimmigkeiten darüber, wer die angekündigten Waffen bekommen soll. Folgende Entwicklung ist wahrscheinlich: Sobald der gemeinsame Feind IS mit internationaler Hilfe besiegt ist, flammt der Kampf um die Vorherrschaft im irakischen Kurdistan wieder auf, mit deutschen Waffen auf beiden Seiten. Wenn das geklärt ist, wird als nächstes Ziel die völlige Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bagdad ausgerufen. Der Besitz moderner Waffen senkt die Schwelle für einen Unabhängigkeitskrieg.

Es ist noch zu erwähnen, dass die Peschmerga in der Vergangenheit die jesidische Minderheit nicht vor islamistischen Übergriffen geschützt haben. Im Jahr 2007 wurden die Einwohner mehrerer jesidischer Dörfer massakriert; niemand half ihnen.

Wie auch immer die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nordirak ausgehen: Für Jesiden und Christen wird es dort keine Sicherheit und keine Zukunftsperspektive geben. Deshalb sollte Deutschland, statt mit Waffenlieferungen Kriegspartei zu werden, unbürokratisch und großzügig jesidische und christliche Flüchtlingsfamilien ausfliegen und ihnen hier Sicherheit und Zukunft garantieren. WINFRID EISENBERG, Herford

■ betr.: „Im moralischen Grenzbereich“, taz vom 21. 8. 14

Bei den Vergleichen in Stefan Reineckes Kommentar sollte man beachten: Das Pol-Pot-Regime ist in der „entfesselten Gewalt“ mit dem IS (Islamischer Staat) vergleichbar. Das Eingreifen des kommunistischen Vietnams beendete dieses Terrorregime, also muss man jetzt die irakischen Kurden unterstützen. Aber: Die USA mit Henry Kissinger verurteilten das Eingreifen Vietnams („Kommunisten“) und unterstützten über viele Jahre noch die Roten Khmer in ihrem Untergrundkampf. Also muss man sich fragen: Handeln jetzt die USA und die westeuropäischen Regierungen nur aus humanitären Gründen, oder welche strategischen Überlegungen bestimmen ihr Handeln?

JENS MERKLE, Saarbrücken

■ betr.: „Die Tabubrecher“, taz vom 21. 8. 14

Es ist völlig gleich, wer wo in der Welt verantwortlich ist für das Erstarken des Terrorismus. Ob die USA im Irak und Syrien oder Russland in Tschetschenien, Israel in Palästina und „der Westen“ in Afghanistan. Was aber deutlich wird, ist, dass das Scheitern aller angeblich humanitären Interventionen offenbar wird. Die Masse an kriegerischen Auseinandersetzungen, unter der immer wieder die Zivilbevölkerung leidet, nimmt zu. Hass gebiert neuen Hass, neue Kriege fordern neue Waffen. Geholfen wird niemandem, es wird nur schlimmer.

Unter allen Beiträgen zu diesen Themen, ob von Gysi, Steinmeier, von der Leyen, Merkel oder Özdemir: Von niemandem höre ich den Ruf nach einer Stärkung der UN. Dabei ist dies der Zeitpunkt in der Geschichte, an dem sich diejenigen, die sich „zivilisiert“ nennen, hinter den Menschenrechten versammeln und endlich ihre Durchsetzung erreichen müssen. Ja, es gibt Menschen, denen man nur mit der Waffe in der Hand entgegentreten kann (und ja, es sind Menschen!). Aber das Ziel dieses Entgegentretens darf weder Gebietsgewinn noch Zugang zu Ressourcen sein – sondern alleine die Sicherung unschuldiger Menschenleben. Und das kann nur, wer keine Interessen hat oder die Interessen aller im Blick hat. Zeit für eine Reform, eine Demokratisierung und eine Wehrhaftmachung der UN.

JÖRG RUPP, Malsch

■ betr.: „SPD fast einig: Waffen für die Kurden“, taz vom 25. 8. 14

Liebe GenossInnen der SPD, es ehrt euch, wie ihr den von euch am 3. August 1914 eingeschlagenen Weg auch nach 100 Jahren konsequent weitergeht, vorsichtige Zweifel à la Stegner beiseite schiebt, historische Erfahrungen à la Afghanistan ignoriert und Überlegungen à la Entsendung einer UN-legitimierten Blauhelmtruppe in den Irak oder gar die Einrichtung einer EU- oder UN-legitimierten „Weltpolizei“ erst gar nicht anstellt: Gratulation zu diesem Jahrestag! EBERHARD PLÜMPE, Bremen

■ betr.: „Bundeswehr schickt sechs Soldaten“, taz.de vom 28. 8. 14

Jetzt sind wir mittendrin. Von wegen nur Waffen. Und wenn einer der „sechs“ Soldaten verletzt wird? Da geht doch keiner hin ohne potenzielle Unterstützung im Hintergrund. Es sei denn, er oder sie ist nicht ganz klar im Kopf. Und eins ist sicher, diejenigen, die da runtergesandt werden, sind keine Schreibtischhengste. Was, wenn einer von denen entführt wird von der IS? Oder zahlen wir dann wieder eine essentielle Vergütung? Und was ist das überhaupt für ein Artikel? Da erwarte ich doch etwas mehr Position von euch – habt ihr die Krallen an eurer Logopfote übersehen? Zeuge14, taz.de

■ betr.: „SPD fast einig: Waffen für die Kurden“, taz vom 25. 8. 14

Sollen wir tatenlos zuschauen, was da gerade abgeht? Mir ist die Politik der Türkei/des Iraks/des Irans/der USA/der BRD/Putins und Afghanistans voll Latte: Es geht um die Menschen dort, die seit Jahren um ihre Rechte kämpfen und nebenbei noch all die Menschen aufnehmen, die gerade noch mal mit dem Leben davongekommen sind. Sollen wir hier zuschauen, bis Bundes-Angie und die Spezialdemokraten die Sache ausgesessen haben?

Es reicht mir. Es wird Zeit, dass die alte Linke hier mal wieder Fahne zeigt. Lass uns anfangen und versuchen, alte Werte wiederzubeleben. Die Kurden haben auch eine schöne Fahne. Ich bin mit Mitte fünfzig dabei, Geld habe ich keines, aber ich kenne eine AK 47, wo kann ich helfen! Die Menschen, die sich dort verteidigen, verdienen nicht nur warme Worte, sondern unsere aktive Unterstützung. Auf geht’s, alte taz: Eine Kampagne! Internationale Brigaden! Ich bin dabei und vielleicht auch einige alte WeggefährtInnen … SVEN ROHDE, Dortmund

■ betr.: „Irak. In Amerli droht ein weiteres Massaker“, taz vom 26. 8. 14

Sorry, ich verstehe es gerade nicht mehr. In der Beurteilung der IS scheinen sich ja ausnahmsweise mal alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates weitgehend einig zu sein. Warum machen sie dann nicht Gebrauch von Kapitel 7, nämlich der Ermächtigung einer friedenserzwingenden Militärintervention durch internationale Truppen? Genau für solche Fälle, wie wir sie jetzt im Irak erleben, wurde besagtes Kapitel 7 doch geschaffen. Ich bin bestimmt kein Freund von Militärinterventionen und Bundeswehrauslandseinsätzen. Aber es irritiert mich, dass keine Macht der Welt ein solches Vorgehen auch nur in Erwägung zu ziehen scheint, und dass weder Presse noch Öffentlichkeit auch nur die Frage danach stellen.

Sicher, eine Intervention wäre extrem risikoreich. Es wäre mit vielen Opfern zu rechnen. Ist das der Grund, warum man es lieber den Kurden überlässt, die Drecksarbeit zu machen? Lieber ein toter Kurde als ein toter Amerikaner, Russe oder gar Deutscher?

Vagabundierende Waffen, auch aus deutscher Herstellung, hat die Welt schon genug. Kein Mensch kann wissen, wo, von wem und für welchen Zweck heute an eine Kriegspartei im Irak gelieferte Waffen in vier oder fünf Jahren verwendet werden. Das reichhaltige moderne Waffenmaterial, über das der IS zurzeit verfügt, stammt zum größten Teil aus Beständen, die die USA seinerzeit der irakischen Armee überlassen hatten. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine kurdische Miliz besser auf ihre Waffenbestände aufpassen kann als die offizielle Armee eines Staates wie der Irak? ALEX FLOR, Berlin

■ betr.: „Krieg auch ohne Giftgas“, taz vom 21. 8. 14

Leider ist das nur allzu wahr: An den Folgen des Giftgaseinsatzes starben an die 1.400 Menschen, so schrecklich das auch ist, aber die fortgesetzte Bombardierung durch das Assad-Regime forderte wohl bereits mehr als 170.000 Opfer. Die Überlebenden des Giftgasangriffs hatten mit einer Reaktion der westlichen Welt gerechnet, die aber vollkommen ausblieb. Es gab keinerlei Hilfe, die BürgerInnen Syriens waren weiterhin täglichen Luftangriffen des syrischen Militärs ausgeliefert, das wiederum auf Waffenlieferungen aus Russland und dem Iran rechnen konnte. Der Bevölkerung und der Freien Syrischen Armee wurde nicht mal Hilfe zur Verteidigung zuteil. Da hat Hillary Clinton nicht ganz unrecht, wenn sie meint, dass durch Unterlassen von Hilfeleistung zur rechten Zeit dem Erstarken der Islamisten Vorschub geleistet wurde. So sieht das auch Elias Perabo, der Geschäftsführer von Adopt a Revolution: „Die Radikalisierung, die wir im letzten Jahr in Syrien erlebt haben, ist auch Resultat des Ausbleibens internationaler Hilfe.“ Und der deutsche Außenminister gab zu bedenken: „Es gibt Situationen, in denen man sich durch Unterlassen genauso schuldig machen kann wie durch Tun.“ Aber nach dem Scheitern der UN-Verhandlungen im März dieses Jahres und dem Rücktritt des UN-Sondergesandten zu Syrien, Brahimi, ist jeglicher politische Prozess zu einer Lösung des Konflikts zum Erliegen gekommen: ein dramatisches Scheitern internationaler Politik. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel