Untergrund verpflichtet

ROCK ’N’ ROLL Erst Ausschweifung, dann ab nach Hause: Die Dum Dum Girls aus Los Angeles beeilten sich im Festsaal Kreuzberg mit ihrem Konzert

Gefahr und Gefühl. Genau darum, um die Ambivalenz zwischen diesen beiden Affekten, geht es beim Rock ’n’ Roll: um das Verruchte, Dreckige des eigenen freien Begehrens und darum, dass diese vermeintlich authentischen Gefühle affirmativ ihrer eigenen Domestizierung gegenüberstehen.

Mit anderen Worten: Sobald es Begehren gibt, ist immer gleich von der Liebe die Rede. Immer wird gleich das jeweilige Objekt als „Baby“ angesprochen oder thematisiert. Von zu Hause abgeholt, zum Hop gebracht und nachher an ein lauschiges, romantisches Plätzchen und zurück. Oder auch mal gleich in die freie Wildbahn.

Dabei geht es tatsächlich um eine „True Romance“ im Rock ’n’ Roll: um echte Leidenschaft als fortwährenden, ewigen Glücksrausch (gegen die Konkurrenz hat man sich da bereits durchgesetzt). Und das ist alles nichts, wenn nicht auch die Erotik ins Spiel kommt, das Verruchte, das Verrücktmachende des Begehrens: Irgendetwas muss sich ja unterscheiden vom Spießertraum der Generation vorher. Dazu hat man die wilde Musik, die wilde Kleidung (Lederjacke, Jeans, schwarze Strumpfhosen), gern auch mal zerrissen, dazu gibt es Alkohol, Zigaretten, Aufputschmittel und anderes, und schließlich gibt es Körperverzierungen der wirklich eingreifenden Art. Kurzum: Ausschweifung, die am Ende auch nur nach Hause möchte. Rock ’n’ Roll.

Am Montagabend gastierten die Dum Dum Girls im Festsaal Kreuzberg. Die Dum Dum Girls stammen aus Los Angeles, USA, und veröffentlichen auf dem ehemaligen Grunge-Label Sub Pop. Sie machen Gitarrenmusik, die sich sehr auf ihre Wurzeln im Rock ’n’ Roll bezieht, ohne kopistisch zu sein. Man könnte die Dum Dum Girls als die zu späte weibliche Antwort auf die Ramones betrachten.

Ideale Hochzeitskapelle

Am Montagabend waren sie leider in der Tendenz eher die Bangles mit Feedback oder die Corrs mit Geschwindigkeit. Natürlich möchte man sie immer noch, besonders mit dem Lied „Rest of our Lives“, vom Fleck weg als Hochzeitskapelle engagieren, zu einer idealen Hochzeit von Sookie und dem Vampir, oder der eines David-Foster-Wallace-Lesers mit dem „schönsten Mädchen aller Zeiten“, dessen Brautkleid mit Polka Dots verziert ist. Am Montagabend aber kam das Gefährliche, Dreckige, das besonders Sängerin Dee Dee verbreiten kann, doch eine Spur zu angepasst daher. Die Band setzte zu sehr auf Geschwindigkeit, auf Routine und vorgeblichen Einsatz, einschließlich einer eher sinnfreien Hintergrundprojektion sowie einer kleinen Windmaschine.

Man hatte das Gefühl, es musste schnell gehen. Nach einer dreiviertel Stunde und einer nicht so gelungenen Coverversion von ausgerechnet „There Is a Light that Never Goes Out“ (im Original von The Smiths) war dann auch Schluss. Hatte man irgendetwas gesehen? Gespürt? Die Leidenschaft, das Echte oder wenigstens die zu Musik gewordene Sehnsucht danach?

Sicher, die neue Schlagzeugerin Sandy war ein Blickfang, Dee Dee und Gitarristin Jules bemühten sich um Bewegung, während Bambi am Bass Coolness mit Stoizismus verwechselte und so nie den Candy-del-Mar-Preis für die coolste Bassistin überhaupt erhalten wird. Mag sein, dass das alles auch am Sound lag, der im Festsaal schon aus Prinzip keine gute Architektur findet. Oder daran, dass Montag war und das Berliner Publikum eher in abwartender Stimmung. Vielleicht lag es daran, dass die Dum Dum Girls zu einer Untergrundexistenz verdammt sind und jeder Ausbruch in eine breitere Sphäre mit Bangles-Vergleichen bestraft wird. Vielleicht hätten sie sich auch einfach etwas Zeit nehmen und am Schluss die andere Coverversion spielen sollen. „But don’t play with me, ’cause you’re playing with fire.“

Gefahr und Gefühl. Das eben wäre es gewesen. RENÉ HAMANN