„Ségo“ und „Sarko“ sind nervös

Am 22. April findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Die beiden bestplatzierten Kandidaten kommen am 6. Mai in eine Stichwahl. Die Amtszeit des Präsidenten läuft fünf Jahre. Wer in den Élysée-Palast einziehen will, braucht 500 Patenschaften von gewählten PolitikerInnen. Für KandidatInnen kleinerer Parteien bedeuten die Patenschaften eine Zitterpartie. Dieses Mal bangten vor allem die grüne Präsidentschaftskandidatin Dominique Voynet und der Globalisierungskritiker José Bové bis zuletzt. Der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen behauptete, die BürgermeisterInnen hätten „Weisung“, nicht für ihn zu unterschreiben. Die großen Parteien an den Geldhähnen hätten sie unter Druck gesetzt. Als potenzielle „PatInnen“ kommen 47.289 gewählte PolitikerInnen in Frage: BürgermeisterInnen, Parlamentsabgeordnete, RegionalpolitikerInnen. Die Gültigkeit der Unterschriften wird vom Verfassungsrat überprüft. Die Frist für dieses Prüfungsverfahren lief am 16. März ab. DORA

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Seit gestern steht die Zahl der KandidatInnen für das Spitzenamt in Frankreich fest: Es sind zwölf. Als letzter hatte gestern Abend der Globalisierungskritiker und Bauerngewerkschafter José Bové die Gewissheit, mit Ach und Krach die nötigen Patenschaften bekommen zu haben. Die Zahl der KandidatInnen ist ein wenig niedriger als im Jahr 2002. Damals hatte sie den historischen Höchststand von 16. Doch die Unübersichtlichkeit ist dieses Mal größer als je zuvor in der Fünften Republik. Das Problem ist die Politik: Selten waren die Programme von AnwärterInnen auf die Staatspräsidentschaft so unklar wie heute. Zugleich gab es selten so viel Gedrängel in der politischen Mitte.

In der Mitte – auf Plätzen, denen die DemoskopInnen jeweils mehr als 20 oder sogar 30 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang voraussagen – bewirbt sich ein Dreieck: die beiden rechten Politiker François Bayrou (55) und Nicolas Sarkozy (51), genannt „Sarko“, sowie die Sozialistin Ségolène Royal (53), in den Medien gerne „Ségo“ tituliert. Alle drei PolitikerInnen sind mehr als zwei Jahrzehnte jünger als der scheidende Amtsinhaber. Alle drei kennen Jacques Chirac aus langjähriger, oft enger Regierungszusammenarbeit. Alle drei sind durch die klassischen Schulen, Universitäten und Parteien der französischen Elite gegangen. Alle drei stecken seit ihrer Jugend im politischen Geschäft. Und alle drei hatten – oder haben auch jetzt noch – Regierungsposten in Paris inne. Und alle drei haben im Frühling 2005, als die FranzösInnen monatelang über die EU-Verfassung debattierten, Kampagne für ein „Oui“ gemacht. Dennoch – auch das ist den dreien aus der Mitte gemeinsam – versuchen sich sowohl Bayrou als auch Sarkozy als auch Royal als KandidatInnen zu verkaufen, die „von außen“ kommen. Als KandidatInnen, die Frankreich radikal ändern werden. Sie signalisieren es schon mit ihren Slogans: Sarkozy, der im Alter von 17 Jahren von seinem späteren Mentor Chirac entdeckt wurde, tut das sprachlich am deutlichsten. Er nennt sich einen Kandidaten des „stillen Bruchs“.

Bayrou ist der Neuankömmling im Dreieck in der Mitte. Der Rechtsliberale hat die Ausstrahlung der französischen Provinznotabeln. Er ist deutschen ChristdemokratInnen ähnlicher als französischen Rechten. Bayrou ist praktizierender Katholik. Überzeugter EU-Europäer. Und Regionalpolitiker. Bei seinen Auftritten gibt er sich pragmatisch und meidet die großen historischen Gesten, die seit General de Gaulle en vogue sind. Bayrous Partei UDF ist seit 2002 Juniorpartner in der rechten Regierung. Sie hat bei sämtlichen konservativen Reformen der vergangenen Jahre mitgespielt: von der Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis hin zur Einschränkung des Kündigungsschutzes. Als Erziehungsminister wollte Bayrou einst die Subventionen für religiöse Privatschulen erhöhen und schaffte es so binnen kürzester Zeit, eine Million LehrerInnen und Eltern auf die Straße zu treiben.

Bei früheren Wahlen führte Bayrou ein Schattendasein. Seine UDF hat – im Gegensatz zu Sarkozys neogaullistischer Sammlungsbewegung UMP und der PS – keine Mitgliederbasis. Dennoch gilt Bayrou jetzt als „dritter Mann“, der sowohl Sarkozy als auch Royal gefährlich werden könnte. Paradoxerweise wollen sogar LehrerInnen, die einst gegen seine Politik gestreikt haben, heute für Bayrou stimmen. Als kleineres Übel. Das seltsame Räsonnement dieser – oft linken – LehrerInnen lautet: „Royal kann nicht gegen Sarkozy gewinnen. Selbst wenn sie es in den zweiten Durchgang schafft.“ Bayrou versucht, seine WählerInnen bei Laune zu halten, indem er mit der Nominierung eines sozialdemokratischen Regierungschefs die gleichzeitige Zusammenarbeit mit NeogaullistInnen in Aussicht stellt. Das Problem von „dritten Männern“ bei Präsidentschaftswahlen ist, dass sie nach Höhenflügen in den Umfragen an den Urnen oft komplett in der Versenkung verschwinden.

Sarkozy ist der Mann, der vielen Angst macht. Der Slogan „Tout sauf Sarkozy“ – alles außer Sarkozy – treibt zahlreiche WählerInnen in nie zuvor gekannte Arme. Sarkozy, der in den vergangenen fünf Jahren einmal Finanzminister und zweimal Innenminister der rechten Pariser Regierung war, hat eine durchwachsene Bilanz. Während seiner Zeit im Innenministerium sind (unter anderem im Herbst 2005) mehr Autos verbrannt und haben mehr Angriffe auf Personen stattgefunden als je zuvor. Er versucht, Politik mit Statistiken zu machen: Er gibt seinen Präfekten Plansolls über abzuschiebende ImmigrantInnen oder nennt die Zahl der Verkehrstoten als öffentliches Spektakel.

Der stets unter Strom stehende, nervöse Sarkozy gibt sich als jener Mann an, der in Frankreich für Recht und Ordnung sorgen wird. Er tut es unter anderem mit Kraftausdrücken, wie „Gesindel“ (für Jugendliche in der Banlieue). Wenn Politikerkollegen nicht mit ihm einverstanden sind, sagt Sarkozy Dinge wie: „Soll die Schnauze halten.“ Aber seit er im Januar offizieller Kandidat der UMP ist, versucht er sich – mit wechselndem Erfolg – lammfromm zu geben. Bei seinen Auftritten sucht er linke und rechte Größen der französischen Geschichte für sich zu vereinnahmen und hat mehrere Franzosen mit Migrationshintergrund geholt.

In den Meinungsumfragen macht Sarkozy immer noch Höhenflüge. Fast alle prognostizieren ihm einen Sieg. Doch die Ankunft von Bayrou in dem Dreieck der Mitte macht Sarkozy und seine Equipe nervös. Erst vor kurzem hat er ein Ministerium mit neuem Namen erfunden: „Immigration und nationale Identität“. Die „nationale Identität“ ist ein Slogan aus dem Vokabular des Rechtsextremen Le Pen. Aus dem Reservoir von dessen mehr als 5 Millionen WählerInnen im Jahr 2002 versucht jetzt Sarkozy zu schöpfen. Die Kritik folgte auf dem Fuße. Der Integrationsminister der gegenwärtigen Regierung, Azouz Begag, erklärte, dass er Bayrou unterstützen wird. Und Simone Veil, eine Auschwitz-Überlebende, die eine große moralische Autorität in Frankreich ist und einst als Ministerin die Abtreibung legalisiert hat, kritisierte ihren Kandidaten. Sie unterstützt Sarkozy weiterhin. Aber die „nationale Identität“ stört sie.

Die Dritte im Dreieck, Royal, hat ihre Höhenflüge in den Umfragen längst hinter sich. Letztes Jahr galt sie – zumindest in den Medien – als beliebteste Kandidatin. Seit die PS sie offiziell gekürt hat, ist ihr Stern ständig gesunken. Royal hat mir Widerständen der Elefanten ihrer eigenen Partei zu kämpfen. Und mit dem permanenten Sexismus in der politischen Elite. Was ihr nutzt, ist ihre „Ségosphère“, eine politische Bewegung am Rande und außerhalb der PS, die seit Jahren die Präsidentschaftskandidatur der Regionalpräsidentin aus dem Poitou-Charentes vorbereitet.

Die neuartige „partizipative Debatte“, mit der Royal die erste Hälfte ihrer Kampagne bestritten hat, ist vorbei. Heute kämpft die Kandidatin um ein eigenes Profil. Was Royal trotz vieler programmatischer Schwächen nutzt, ist die Angst zahlreicher französischer Linker vor einem neuerlichen 21. April. Das führt dazu, dass viele schon vor Monaten entschieden haben, „nützlich“ zu wählen. Lange bevor Royal ihr „präsidentielles Projekt“ vorgestellt hat. Meetings von Royal und TV-Debatten mit ihr bringen weiterhin riesige Einschaltquoten. Ihr Stil – zu dem auch öffentliche Zweifel gehören – ist neu in Frankreich.

Beinahe von den Großen erstickt sind die kleinen KandidatInnen. Mit einer Ausnahme: Der Rechtsextreme Le Pen, der mit 78 erneut kandidiert, sieht sich wie 2002 wieder im Endspurt. Seine Veranstaltungen sind gut besucht, seine TV-Debatten haben hohe Einschaltquoten.

Die französische Linke – links von der PS – schickt dieses Mal wieder zwei TrotzkistInnen ins Rennen: die Rentnerin Arlette Laguiller und den Briefträger Olivier Besancenot. Bei den Kommunisten kandidiert Parteichefin Marie-George Buffet. Sie versucht, das schwindende Gewicht ihrer Partei – die in der Nachkriegszeit die größte Frankreichs war – durch den Appell an alle Antiliberalen zu kompensieren. Ein Durchbruch ist ihr damit bislang nicht gelungen. Ein Schattendasein führt auch die Kandidatin der Grünen, Dominique Voynet.

Eine gemeinsame Schwäche aller getrennt angetretenen KandidatInnen der Linken ist ihre Uneinigkeit nach der gemeinsamen Kampagne für ein „Non“ zur EU-Verfassung. Die linken Parteien haben lange und vergeblich über eine gemeinsame Kandidatur gestritten. Als feststand, dass sie nicht zustande kommen würde, sprangen bei allen von ihnen Mitglieder ab, um die Kandidatur Bovés zu unterstützen. In den fünf Wochen bis zur Wahl herrscht auch auf dieser Seite des politischen Spektrums eine schwer nachvollziehbare Vielfalt.