Bremen weht der Nordwind entgegen

Im Gutachterstreit vor dem Bundesverfassungsgericht ist Bremen unter seinen Nachbarn inzwischen völlig isoliert: Zusätzliche Sanierungshilfe soll die finanziell klamme Hansestadt nicht bekommen, finden zumindest die Prozessvertreter der anderen Nordländer

In seiner Haushaltsnotlage hat das überschuldete Bundesland Bremen offenbar weder unter den Stadtstaaten Freunde noch unter seinen norddeutschen Nachbarn. So lässt Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) kaum eine Gelegenheit aus, gegen die Bremer Finanzwirtschaft polemisch zu Felde zu ziehen – insbesondere gegen den gescheiterten Bremer Versuch, mit besonders hohen Investitionen die Steuerkraft und damit die Staatseinnahmen zu erhöhen. Die Ausgaben stiegen in Bremen in den letzten zehn Jahren überdurchschnittlich aufgrund der Investitionsausgaben, die Einnahmen lagen aber im Jahre 2002 nicht über denen von 1992.

In diese Kerbe hat jetzt auch der Münchener Finanzwissenschaftler Stefan Korioth geschlagen. Im Berliner Klageverfahren war er der Prozessvertreter Hamburgs, im Bremer Verfahren vertritt er unter anderem auch Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – also den ganzen Norden, nicht nur klassische „Geberländer“, die in den Länderfinanzausgleich mehr einzahlen als sie daraus erhalten. Bremen habe keine weitere Sanierungshilfe verdient, das ist das Fazit der Expertise. Denn die Bremer hätten in der Vergangenheit die Sparpotenziale bei weitem nicht ausgeschöpft und blieben hinter dem zurück, was für die Zukunft zumutbar wäre.

Korioths Stellungnahme für das Verfassungsgericht analysiert auf 40 Seiten die bisherige Bremer Sanierungspolitik. „Enttäuschte Erwartungen auf der einen Seite, überhöhte konsumtive und vergeudete investive Ausgaben“ stellt der Gutachter fest, und eine „unterbliebene Schuldentilgung“ – Bremen habe die Sanierung seiner Staatsfinanzen „nicht einmal ernsthaft in Angriff genommen“. Seine Investitionsstrategie sei ein „Luftbau“: Ersparnisse bei Zinszahlungen, die geplant gewesen seien, aber nie eintraten, seien für Investitionen ausgegeben worden, deren Rentabilität man nie nachgewiesen habe. „Überall wird geschummelt, dass die Schwarte kracht“, zitiert der Jura-Professor genüsslich die Bremer Oppositionspolitikerin Karoline Linnert (Grüne). „Bremen lebt unter dem Schleier seiner Haushaltsnotlage in extremem Ausmaß über seine Verhältnisse“, lässt Korioth die Finanzwissenschaftlerin Gisela Färber sagen.

„Rückwärtsgewandte Polemik“ sei das Gutachten der acht Bundesländer, kontert Bremens Prozessbevollmächtigter, der Bielefelder Jurist Johannes Hellermann, in seinem neuen Schriftsatz für das Verfassungsgericht. Er will sich auf einen Streit über die Vergangenheit nicht einlassen: Eine „Verweigerung von Sanierungshilfe aus Gründen der Sanktion für vorangegangenes Fehlverhalten“ hält er für „verfassungsrechtlich unzulässig“. Bremen plant inzwischen, die hohe Investitionsquote in den kommenden Jahren auf Hamburger Niveau zu reduzieren. Das ist schwierig ist, weil im Vorgriff auf die Haushalte bis 2010 im Grunde alles Investitionsgeld schon ausgegeben oder verpflichtend gebunden ist.

Bremen rechnet in seiner Erwiderung vor, dass das Bundesland aus eigener Kraft die Haushaltsnotlage nicht überwinden könne. Denn das hohe Ausgaben-Niveau komme nicht nur zustande durch die überdurchschnittliche Investitions- und Zins-Ausgaben. Auch die Sozialhilfe-Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung seien in Bremen deutlich höher als in vergleichbaren Bundesländern, hinzu kämen überdurchschnittliche Kosten für Häfen und Hochschulen. Das aber seien im Grunde Leistungen für den Bund. Bei allen anderen Kennziffern, so der Bremer Gutachter, liege das Land unter dem Hamburger Ausgaben-Niveau.

Hellermann zufolge ist daher zweierlei erforderlich: eine erneute Sanierungshilfe, die aber diesmal ausschließlich für den Schuldenabbau verwendet werden soll, und eine strukturelle Besserstellung im föderalen Länderfinanzausgleich. Von der hohen Wirtschaftskraft, gemessen am Brutto-Inlandsprodukt, soll mehr für das Bremer Staatssäckel übrig bleiben. Dieses Interesse verbindet Bremen in der Föderalismusreform-Debatte eher mit den süddeutschen Bundesländern. Klaus Wolschner