Im luftleeren Raum

SABOTAGE Seltsam losgelöst von der Realität: Warum Brandanschläge auf S-Bahnen, wie der kürzlich am Ostkreuz verübte, ein Armutszeugnis für die militante Linke sind

Die Zeiten, in denen Anschläge noch auf gelegentliche Unterstützung stießen, sind vorbei

VON ERIK PETER

Die Verursacher des Brandanschlages auf einen Kabelschacht, der seit Mittwoch für Chaos im S-Bahn-Betrieb sorgte, stellen sich in ihrem Bekennerschreiben, das auf der linken Website indymdia.linksunten veröffentlicht wurde, nicht in die Nachfolge der vorhergegangenen Sabotageakte in den Jahren 2011 und 2013. Den verwendeten Namen isländischer Vulkane, Eyjafjallajökull, Hekla und Grimsvötn, fügen sie keinen vierten hinzu, stattdessen haben sie ihre Erklärung schlicht mit „Autonome Gruppen“ unterschrieben. Das ist angemessen, schließlich ist auch die Begründung, die der Aktion einen inhaltlichen Sinn verleihen soll, vor allem eines: schlicht.

Als willkürliche Begründung ihrer Tat müssen die Flüchtlinge herhalten, die dieser Tage das Dach eines Hostels in der Gürtelstraße besetzt halten. Weil deren Schicksal den Menschen egal sei, so die Logik des Textes, müsse ihnen Zeit gegeben werden, darüber nachzudenken. Zeit, die man gewinne, wenn keine Züge mehr fahren. Dabei verfängt sich die Argumentation in einem bekannten linken Widerspruch: Es ist die Frage, welche Rolle die Massen in linker Theorie und Praxis spielen. Sind all jene, die einmal „Proletariat“ genannt wurden, das revolutionäre Subjekt gesellschaftlicher Umwälzungen? Oder aber eine potenzielle Gefahr, gegen die eine selbst ernannte Avantgarde Verbesserungen erkämpfen muss?

Die Verfasser des Bekennerschreibens stellen sich zunächst eindeutig auf die Seite jener, die das Volk verachten: „Die einfachen bürger*innen berlins und brandenburgs (…) sind es, die getroffen werden sollten“, heißt es unverblümt – denn ihnen fehle es „an betroffenheit“. Eine Argumentation, die eine Bestrafung legitimieren soll. Die Behauptung, dass sie nicht die „Armen“, sondern „eine reiche Gesellschaft“ getroffen hätten, passt in dieses Bild. Es zeigt die mangelnde Empathie für die Menschen, die auch hierzulande nicht auf der Gewinnerseite stehen. Es sind ja nicht die Eliten, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind. Es sind gerade auch Flüchtlinge und Migranten, die sich keine andere Form von Mobilität leisten können.

Paradoxerweise halten die Schreiber die naive Hoffnung aufrecht, mit der künstlich erzeugten Entschleunigung eine Bewusstseinsbildung anzustoßen: „Vielleicht nutzen ja die wartenden menschen an den bahnhöfen die zeit, um über die herkunft ihres wohlstandes nachzudenken, über die gründe, warum es ihnen möglich ist, ohne ständige bedrohung durch mord und folter in ruhe zu leben.“

Dass die auf ihrem morgendlichen Arbeitsweg behinderten Arbeiter und Angestellten Verständnis für die Autonomen und deren Anliegen aufbringen, ist jedoch ausgeschlossen. Die Verursacher des ersten großen Anschlags dieser Art, die im Mai 2011 mit einer Sabotage am Ostkreuz beträchtliche Störungen verursachten, mussten dies in einem Schreiben drei Monate nach ihrer Tat konstatieren. Darin schrieben sie von einem „echten Problem“ der Aktionsvermittlung, weil es unmöglich sei, den Menschen zu erklären, „warum wir ‚ihnen das jetzt antun‘“. Dem richtigen Schluss folgte jedoch die falsche Begründung: Schuld sei eine Presseberichterstattung, die Verständnis für ihre Tat vermissen ließ. Ob die schreibenden Saboteure tatsächlich eine gegenteilige Hoffnung hatten – man kann es sich kaum vorstellen. Eine militante Linke, die sich bewusst außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung stellt, aber auf Verständnis für derartige Aktionen hofft, liefert ein Armutszeugnis ab. Ein Zeugnis für ihre Realitätsferne – und ihre theoretische Schwäche in der Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge.

Selbst wenn es diesen Militanten darum ginge, die Machtfrage zu stellen – was sie augenscheinlich nicht tun –, könnten sie sich in der befriedeten deutschen Gesellschaft keinen Rückhalt mehr finden. Vorbei sind die Zeiten, in denen Anschläge der RAF oder RZ gegen die ökonomischen und politischen Eliten noch auf gelegentliche Unterstützung stießen. Der Glaube, heute seien die Menschen bereit, sich persönliche Entbehrungen von einer kleinen Minderheit aufzwingen zu lassen, ist daher mehr als vermessen.

Die Gruppe „Hekla-Empfangskomitee“, die mit einem S-Bahn-Anschlag im Oktober 2011 auf sich aufmerksam machte, war in ihrem Bekennerbrief wenigstens ehrlich genug, nichts mehr zu erwarten: „Wo es keine Alternative gibt, gibt es nichts mehr zu diskutieren oder einzufordern“, hieß es da. „Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist“, heißt es in der Kampfschrift „Der kommende Aufstand“, von dessen Lektüre die Autonomen in Wort und Tat maßgeblich beeinflusst scheinen. Ein Buch als Untergangsszenario, gerichtet gegen die Dekadenz der Metropolen und die westliche Zivilisation per se, das sich an der Fantasie berauscht, Sand ins Getriebe zu streuen: „Alles blockieren ist deshalb der erste Reflex all dessen, was sich gegen die gegenwärtige Ordnung richtet.“

Mit dieser Haltung muss nicht mehr um Verständnis gebuhlt werden, denn sie beschränkt sich auf die Hoffnung für die Zeit nach der Apokalypse. Anlass für diese Hoffnung besteht indes nicht. Denn während die Militanz vergangener Zeiten sozialen Bewegungen entsprang und in Bekennerschreiben mit diesen verknüpft und rückgekoppelt werden mussten, fehlt das unterstützende Milieu heute fast vollständig. Die vereinzelten „Revolutionäre“ agieren im luftleeren Raum, eine Debatte über ihr Tun, über die Begründungen ihres Handelns und ihre Zielrichtung entfällt. Daher sind die Taten ziellos und haben noch weniger Potenzial, an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu rütteln, als ein Vulkan auf Island.