Zwischen Schimmel und Fäkalienbrühe

So sieht die moderne Bundeswehr heute aus: Die Kasernen sind marode. Vorgesetzte fühlen sich überfordert und schlagen über die Stränge. Die Soldaten sind frustriert. Wehrbeauftragter Reinhard Robbe (SPD) legt ungewöhnlich scharfen Bericht vor

„Mich erschreckt, wie selbstverständlich Vorgesetzte über die Stränge schlagen“

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Wenn die Bundeswehr ein Spiegel der Gesellschaft ist, dann ist dieses Land vom Verfall gezeichnet. Jedenfalls, was Toiletten, Wohnzimmer und Schlafstätten angeht. In den Kasernen herrschen Zustände, die der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe gestern als „untragbar“, „skandalös“ und „beschämend“ bezeichnete.

Bei der Vorstellung des Jahresberichts 2006 erzählte Robbe (SPD) von unangekündigten Kasernen-Besuchen: An einem norddeutschen Standort habe er „Schimmelbefall in der Stube“ erlebt. Schadstoffe würden freigesetzt, weil der Bodenbelag sich löste. Die Bäder seien „nur mit Gummistiefeln“ betretbar gewesen. Das Dach war undicht, das Mobiliar stammte „aus der Gründerzeit der Bundeswehr“.

Besonders marode sind laut Robbe die Kasernen im Westteil des Landes. Seit 1990 hat die Bundeswehr vor allem in die ehemaligen NVA-Standorte im Osten investiert – sie machen etwa ein Drittel aller Liegenschaften aus. Mittlerweile schiebe man eine wachsende „Bugwelle“ an Investitionen vor sich her, kritisierte der Wehrbeauftragte. Schätzungsweise ein „zweistelliger Milliardenbetrag“. Von den Sanierungen würden auch Betriebe vor Ort profitieren – „ein reines Konjunkturprogramm“, warb Robbe. Die meisten Mängel seien seit Jahren bekannt. Viele Soldaten fühlten sich frustriert: Ihre Klagen würden nicht ernst genommen.

Besonders schlimm waren die Verhältnisse offenbar im Kongo. Hier war erstmals eine private spanische Firma mit der Errichtung der Feldlager betraut. „Damit waren sie, gelinde gesagt, überfordert“, so Robbe gestern. „Die Zelte waren undicht, setzten Schimmel an und hatten keinen Insektenschutz.“ Eine Fäkaliengrube sei bei starkem Regen übergelaufen, „die Fäkalien schwammen durch die Zelte“. Der Wehrbeauftragte warnte davor, die „bewährten deutschen Standards“ auf Auslandseinsätzen „auch nur anzutasten“. Damit werde nicht nur die Fürsorgepflicht verletzt, sondern auch die Motivation der Soldaten enorm gedämpft.

Dabei hat es der gemeine Rekrut auch in der heimischen Kaserne nicht immer leicht, wie der Bericht zeigt. Perverse Vorgesetzte wie im westfälischen Coesfeld kommen offenbar häufiger vor. Robbe: „Mich erschreckt, mit welcher Selbstverständlichkeit manche Vorgesetzte über die Stränge schlagen und die Rechte von Kameraden und Untergebenen missachten.“ Der Bericht bringt Beispiele: Ein Hauptfeldwebel weckte gegen drei Uhr nachts nach „erheblichem Alkoholgenuss“ einen Gefreiten und befahl ihm, mit freiem Oberkörper 30 Liegestützen auszuführen. Dabei filmte er den Soldaten mit seinem Handy. Ein anderer Feldwebel beschimpft einen Untergebenen als „Wichser, Idiot, Hurensohn und Schwuchtel“. Robbe führt solche „Ausschweifungen und Exzesse“ auch darauf zurück, dass viele Vorgesetzte überlastet sind. Auch werde das Prinzip der „inneren Führung“, also des Vorbildseins, über die Transformation der Bundeswehr aus den Augen verloren. „Hier liegt einiges im Argen.“

Hinzu kommt die steigende Belastung durch die Auslandseinsätze – 2006 kamen die Kongo-Mission und die Überwachung der libanesischen Küste hinzu. In Folge fehlen den Bundeswehrkrankenhäusern in Deutschland oftmals Chirurgen und Anästhesisten. Wer in der Kaserne zurückbleibe, habe zum Teil eine Arbeitszeit von 70 bis 80 Wochenstunden, sagte Robbe. Operationssäle bleiben vorübergehend geschlossen. Auch psychisch machen sich die Auslandseinsätze bemerkbar. Wer in Afghanistan war, hat echten Krieg erlebt. Die Zahl der an posttraumatischen Belastungsstörungen erkrankten Soldaten hat sich seit 2003 verdreifacht.