Ein Mäzen für die Soziologie

Der Coesfelder Geschäftsmann Kurt Ernsting stiftet eine Soziologie-Professur für die Fernuniversität Hagen. Im Prinzip finden das alle toll: Der Stifter pflegt sein Image, die Uni verbessert ihr Angebot, der Forscher hat einen neuen Job. Die Sache hat nur einen Haken: gestiftet wird nur fünf Jahre lang

VON LUTZ DEBUS

Coesfeld, im westlichen Münsterland gelegen, war bislang nicht gerade ein berühmter Standort in der akademischen Landschaft von NRW. Doch seit einigen Jahren beherbergt die Stadt ein Studienzentrum der Fernuniversität Hagen. Neben Jura und Wirtschaftswissenschaften wird hier auch im Fach Soziologie geforscht und gelehrt. Und im kommenden Semester wird eine Stiftungsprofessur eingerichtet. Das Besondere daran: Nicht das Land zahlt für die Personalkosten des Lehrstuhles, sondern in diesem Falle ein Mäzen. Wer aber hat ein Interesse daran, einen Professor für Soziologische Gegenwartsdiagnosen mit insgesamt einer halben Million Euro zu fördern?

Kurt Ernsting war der Firmenpatriarch einer Einzelhandelskette. Mittlerweile gibt es über 1.000 Filialen von „Ernstings Family“, einem Bekleidungsgeschäft des unteren Preissegments. Aus dem aktiven Geschäft hat sich Ernsting mittlerweile zurückgezogen, ist aber in seiner Stiftung aktiv. Er hat eine alte Kaserne in seiner Heimatstadt Coesfeld gekauft und dort neben der VHS und der Musikschule auch der Zweigstelle der Fernuni Räume zur Verfügung gestellt. Statt in Feldgrau leuchtet der alte Wehrmachtsklotz nun in Altrosa.

„Das Unternehmen ist sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst“, heißt es aus der Firmenzentrale. Der Stifter habe Sorgen, wie es mit der Gesellschaft weiter gehe. Und da habe sich die Zusammenarbeit mit der Soziologischen Fakultät der Fernuni geradezu angeboten. Durch die organisatorische Struktur der Universität sei es Ernsting möglich gewesen, direkt etwas für seine Heimatstadt zu tun.

Einen direkten Zusammenhang zwischen den Bedürfnissen des Unternehmens und den Möglichkeiten des Lehrstuhls könne man allerdings nicht herstellen, so Hans-Dieter Ernst, Geschäftsführer von Ernstings „Holding EHG Service GmbH“. Natürlich würde man es begrüßen, wenn Mitarbeiter des Managements Vorlesungen des Professors besuchen würden. „Ein Unternehmen müsse sich auch soziologischen Fragen stellen.“

„Ich betreibe keine Auftragsforschung“, betont Holger Lengfeld. Der 36-Jährige arbeitete bislang an der Freien Universität Berlin, wird nun in Coesfeld und Hagen aktiv sein. Er hat drei Forschungsschwerpunkte. Zunächst beschäftigt er sich mit der sich wandelnden Sozialstruktur. Gibt es eine Unterschicht? Worüber Sozialdemokraten pressewirksam stritten, untersucht Lengfeld an Hand von Umfragen. Auch sein zweites Thema beschäftigt die aktuelle politische Diskussion. Was ist sozial gerecht? Der Wissenschaftler versucht allerdings, diese Frage neutral zu beantworten. Nicht seine Meinung sei hier gefragt, sondern er werte lediglich die Aussagen repräsentativ ausgewählter Interviewpartner aus. Komplizierter ist die Forschung bei seinem dritten Thema. Auf die Frage, ob es ein gemeinsames europäisches Gesellschaftsmodell gibt, muss Lengfeld soziologische Studien aus allen EU-Ländern miteinander vergleichen.

All diese Forschungen scheinen beim besten Willen nicht mit den Geschäftsinteressen eines Damen-, Herren- und Kinderausstatters zusammen zu passen. Muss man über das mögliche Protestverhalten von sozial Benachteiligten informiert sein, wenn man Ringelpullis für knapp zehn Euro verkaufen will? Holger Lengfeld verneint diese Frage. „Soziologie ist nicht sehr ökonomisierbar.“ Der frisch gebackene Professor nimmt dem Firmengründer sein wohltätiges Engagement ab. Eine weltanschauliche Orientierung, wie sie etwa bei einem Jan Philipp Reemtsma und seiner Stiftung zu erkennen ist, könne man bei Kurt Ernsting nicht sehen. Auf der Homepage des Kleidungsdiscounters findet man unter dem Stichwort Philosophie „Wir verkaufen schöne Wäsche und aktuelle Kleidung für jeden Tag, für die ganze Familie und das zu einem günstigen Preis.“

Skandalöses gibt es über das Unternehmen kaum zu berichten. Sogar die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat von Coesfeld, Charlotte Ahrendt-Prinz, ist voll des Lobes. „Herrn Ernsting verdanken wir viel in Coesfeld.“ Und nun wird die kleine Kreisstadt also auch so etwas wie eine Universitätsstadt. Im Sommer des nächsten Jahres plant die Fernuni auf dem zentralen Platz einen „Markt der Wissenschaft“ zu veranstalten. Statt Äpfeln und Erdäpfeln gibt es dann an den Ständen Diskussionen und Vorträge für die Passanten aus dem Münsterland.

Profitiert die Fernuni denn von der Stiftung? Rektor Helmut Hoyer ist zwar sehr dankbar über die vier Stiftungsprofessuren, die mittlerweile eingeworben werden konnten. Aber er sieht darin nicht den Grund, dass an der Fernuni bislang keine Studiengebühren erhoben werden mussten. Jene Stiftungsgelder seien dazu zu unbedeutend. „Aber wir können die Qualität der Ausbildung so natürlich erhöhen.“ Auch die Gefahr, dass sich der Staat durch den Einsatz privater Geldgeber immer mehr aus seiner Verantwortung stehle, sehe er nicht. Trotzdem kostet auch die neue Stiftungsprofessur die Uni auf Dauer viel Geld: Zahlen wird Mäzen Kurt Ernsting nämlich nur fünf Jahre lang, jedes Jahr 100.000 Euro. Danach wird die Fernuni die Kosten der neuen Professur übernehmen.

Rektor Hoyer hat dennoch keine Angst vor der Zukunft. „Wir werden hier keine amerikanischen Verhältnisse bekommen.“ Bandenwerbungen im Hörsaal oder Werbeunterbrechungen während der Vorlesungen sind also in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.