Verfassungsschutz für Kinder

Schleswig-Holstein schreibt die Rechte von Kindern als Staatsziel fest. Die oppositionellen Grünen hoffen, damit die Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht machen zu können. Bisher standen dem immer die Elternrechte entgegen

von ESTHER GEISSLINGER

Ungewöhnlich einig waren sich in der gestrigen Debatte alle Fraktionen des Kieler Landtages: Kinderrechte sind wichtig, sie gehören als Staatsziel in die Landesverfassung. „Kinder sind der wichtigste Wert überhaupt“, sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. „Es ist Aufgabe des Staates, Kinder und Jugendliche vor Gefahren und negativen Einflüssen zu schützen.“ Entsprechend wird die Verfassung geändert, darauf einigte sich der Landtag einstimmig. Die Koalitionsfraktionen CDU und SPD folgten damit einem gemeinsamen Antrag der drei Oppositionsparteien FDP, Grüne und SSW.

Noch bei einer Debatte im Herbst hatte die CDU sich gegen die Verfassungsänderung gestellt. Erst in der vergangenen Woche hatte Fraktionschef Johann Wadephul verkündet, für den Antrag stimmen zu wollen: „Für die CDU-Landtagsfraktion ist der Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen ein großes Anliegen.“ Das bisherige Engagement sei „nicht ausreichend“ gewesen. Schelte – obwohl er sachlich der gleichen Meinung war – gab es dafür von Klaus-Peter Puls (SPD): Die CDU sei umgefallen, sie versuche, sich vom Trittbrettfahrer zum Lokführer zu machen.

Wadephul wies gestern darauf hin, dass es mit dem Verfassungsziel Kinderschutz nicht getan sei. Schon heute gebe es zahlreiche Gesetze, die Kinder und Jugendliche vor Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung schützen sollen. Er erinnerte an Fälle wie den Tod Kevins in Bremen oder die aktuellen Vorfälle, bei denen in Kiel Babyleichen in einer Kühltruhe gefunden wurden und in Hamburg ein Junge aus einem Hochhausfenster geworfen wurde: „Ich wage zu bezweifeln, dass ihr Leben anders verlaufen wäre, hätten wir den Kinderschutz bereits im Grundgesetz.“

Die Grüne Monika Heinold glaubt dennoch, dass das neue Staatsziel mehr sei als „symbolische Politik“. Der taz sagte sie, sie hoffe durch diesen Schritt auf einen Durchbruch in der Frage verbindlicher Vorsorgeuntersuchungen. Die meisten Eltern – in den ersten Lebensmonaten des Kindes über 90 Prozent – gehen freiwillig zu den Arztterminen, deren Kosten die Krankenkassen übernehmen. Um auch die anderen zu erreichen, die sich diesen Untersuchungen entziehen, sollen diese zur Pflicht werden, wünschen sich die Grünen. Bisher scheiterte dieser Plan an der gesetzlich geschützten Bedeutung des Elternrechts: Der Staat, so die Argumentation, dürfe Kinder nicht zu medizinischen Kontrollen zwingen, wenn die Eltern etwas dagegen haben.

Heinold hofft, dass sich in dieser Frage etwas bewegen könnte. Die Verankerung der „Kinderrechte“ als Staatsziel könnte dabei hilfreich sein. Das zuständige Sozialministerium arbeitet an einem neuen Kinder- und Jugendschutzgesetz, in dem es auch um diesen Punkt gehen wird. Möglich wäre eine zentrale Meldestelle, bei der alle Untersuchungen erfasst würden, teilte die SPD laut Hamburger Abendblatt mit. Eltern, die mit ihren Kindern nicht freiwillig erscheinen, sollten dann angesprochen werden und Hilfsangebote erhalten. Ein ähnliches Modell gibt es bereits im Saarland. Wie das Verfahren für Schleswig-Holstein genau aussehen könnte, will der Landtag im Mai weiter beraten.

Auch in anderen Bundesländern gibt es Konzepte für den Schutz der Kleinsten. Einige Experten bezweifeln aber, dass Pflichtuntersuchungen der Königsweg sind. Gerade „Problemfamilien“ könnten durch die vermehrte Kontrolle noch weiter ins Abseits gedrängt werden, die Eigenverantwortung würde so nicht gefördert. Außerdem seien die heutigen Vorsorgeuntersuchungen nie dafür gedacht gewesen, Misshandlung oder Vernachlässigung zu entdecken. Sie müssten also neu konzipiert werden, um diese Aufgabe zu erfüllen. Sinnvoll seien die Untersuchungen nur in einem Gesamtpaket.

In Schleswig-Holstein gibt es auf freiwilliger Basis bereits das Projekt „Schutzengel“, das jeder Kreis eigenständig umsetzt. Unter anderem erhalten Eltern Gutscheine für Hilfsangebote, Treffs und Selbsthilfegruppen sollen gebildet werden, Familienhebammen die Eltern besuchen. Weitere Elemente eines „tragfähigen Netzes“ für Familien sollen im geplanten Gesetz beschrieben werden.

Gestern zumindest freute sich die Landtagsopposition über den gemeinsamen Erfolg: „Es ist ein guter Tag für Kinder und Jugendliche in Schleswig- Holstein“, sagte Heiner Garg (FDP). Die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung sei „kein symbolischer Akt“, sondern eine konkrete Handlungsanweisung für die Abwägung von Kinder- und Elternrechten.