Big Brother auf der Bundesstraße

ÜBERWACHUNG Die Kennzeichen von jedem Auto fotografieren: Das plant Niedersachsens Polizei auf unfallreichen Straßen. Datenschützer zweifeln an „rückstandsfreier Löschung“ der Daten

Bundesweit einmalig soll Niedersachsens Polizei auf unfallreichen Strecken die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Autos erfassen dürfen. Das sieht ein neues Konzept zur Geschwindigkeitskontrolle vor, das Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Montag in Hannover vorgestellt hat: Bei der sogenannten „Section Control“ werden Raser nicht mehr nur an einem einzelnen Punkt geblitzt. Ermittelt werden soll vielmehr die Durchschnittsgeschwindigkeit beim Durchfahren eines oft kilometerlangen Bereichs.

Dazu sollen ausnahmslos alle Fahrzeuge am Beginn und am Ende der Unfallstrecke fotografiert werden – aus der Länge des Abschnitts und der benötigten Zeit wird berechnet, ob jemand gerast ist oder nicht. Damit würden auch die Daten all jener FahrerInnen erfasst werden, die sich an die Verkehrsregeln halten.

Datenschutzprobleme sieht Sozialdemokrat Pistorius trotzdem nicht. Bereits innerhalb der Kontrollanlage werden die Fotos verschlüsselt. Verglichen werden nur anonymisierte Datensätze. Erst wenn sich dabei herausstelle, dass zu schnell gefahren wurde, werde ein drittes Foto gemacht, dass auch den Fahrer zeige, sagte er.

„Das ist technisch alles sehr kompliziert. Ich bin kein Techniker – aber es funktioniert“, versicherte der Polizist Jörg Müller, der in Pistorius’ Ministerium das Verkehrsreferat leitet, treuherzig. Auf Nachfrage der taz musste er aber einräumen, das in der Anlage während des Messvorgangs immer auch nicht verschlüsselte Fotos der durchfahrenden Autos gespeichert sind.

Heftige Bedenken gegen die „Section Control“ haben deshalb die Mitarbeiter des niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten Joachim Wahlbrink. Es fehle nicht nur eine belastbare Rechtsgrundlage. Unsicher sei auch, ob „Hard und Software gehärtet“ seien, schreiben Wahlbrinks Juristen in einer Stellungnahme. Unklar bleibe, wie „unbefugtes Auslesen“ der teilweise per Funk übermittelten Daten verhindert werden soll. Das bittere Fazit der Datenschützer: Bisher liege nur ein „Verkaufsprospekt“ der Herstellerfirma Gatso vor – und der sei längst „nicht detailliert genug“.  ANDREAS WYPUTTA